Jahresendbudenessen

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In einem der vielen Burgdorfer Upperclass-Restaurants höcklen Hofstetter, Hofstetter, Hofstetter und Hofstetter – die Gründer, Inhaber, Betreiber und CEO’s eines prosperierenden jungen Kommunikationsbüros – am von Hofstetter schon Ende Juni reservierten Ecktisch hinten rechts, um miteinander bei Mille-Feuilles mit Schwarzwurzeln und Morcheln, Rindsfilet mit Trüffelrisotto und drei Chugeli Vanille-, Schoggi- und Pistacheglacé das ablaufende Jahr zu feiern.

Wer fehlt, ist Hofstetter, der Verwaltungsratspräsident. Es ist wie immer, wenn Verwaltungsratspräsident Hofstetter fehlt, nicht so, dass er nicht eingeladen worden wäre, aber weil Gründerhofstetter dachte, Betreiberhofstetter kümmere sich darum, und CEOhofstetter davon ausging, dass Inhaberhofstetter daran denken würde, VRPHofstetter über das Essen zu informieren, sitzt Gott, wie Hofstetter, Hofstetter, Hofstetter und Hofstetter ihren allerobersten Chef nennen, wenn er nicht da ist, zuhause vor dem Fernseher und schaut „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Vor ihm stehen die erkalteten Überreste einer Findus-Lasagne aus dem Tankstellenshop.

Hofstetter: Ist es nicht schön, so zusammenzusitzen und zurückzublicken?

Hofstetter: Ich weiss nicht. Diese Budenessen…

Hofstetter: …Schischi auf dem Teller und Dibidäbigetue vom Kellner: Mir hätte ein XXL-Cordon bleu mit Pommes Frites und ohne Gemüse bei Vreni gereicht. Abgesehen davon haben die hier total übersalzene Preise. Wenn das unsere Treuhänderin erfährt, häscherets.

Hofstetter: Letztes Mal hat uns Hofstetter himself bekocht. Als ich wieder zuhause war, bestellte ich eine Pizza, um kurz nach Mitternacht doch noch satt zu werden. So betrachtet, ist es diesmal gar nicht so übel; müsst ihr zugeben.

Hofstetter: Ich muss gar nichts, ausser sterben, und jetzt kurz für kleine CEO’s. Ihr entschuldigt…(steht auf und verschwindet durch eine Türe in der holzgetäferten Wand).

Hofstetter: Jedenfalls ist das immer noch besser, als mutterseelenalleine daheim vor dem Fernseher zu versauern und auf etwas Tiefgefrorenem herumzuchätschen.

Hofstetter: Hält Hofstetter eigentlich keine Ansprache?

Hofstetter: Doch, garantiert. Das ist nur noch eine Frage von Minuten.

Hofstetter: Ich stelle mir gerade vor, wie er auf dem WC sitzt und mit heruntergelassener Hose sein Manuskript ein letztes Mal strählt (legt das Besteck nieder und atmet tief durch). Mist: dieses Bild bringe ich frühestens Mitte 2016 wieder aus dem Kopf.

Hofstetter: „Sein Manuskript“?

Hofstetter: Das mit der Jahresendrede. Oder besser gesagt: DER Jahresendrede.

Hofstetter: Das ist nicht sein Manuskript, sondern meines.

Hofstetter: Wieso?

Hofstetter: Weil ich die Rede geschrieben habe.

Hofstetter: Aha.

Hofstetter: Ehrlich jetzt?

Hofstetter: Wenn ichs doch sage. Gestern kam er zu mir und sagte, „Du, Hofstetter: wir machen doch auch Ghostwritings“. Darauf ich: „Ja, natürlich.“, Darauf er: „Dann write mal schön ghost, aber es pressiert! Deadline ist morgen um punkt Siebzehnnullnull.“. Darauf ich: „Für wen und was?“ Darauf er: „Das kann ich dir nicht sagen; ist streng geheim. Schreib einfach eine Jahresendansprache für einen Chef mit, sagen wir, drei Compagnons.“ Darauf ich: „Und was soll da drinstehen?“ Darauf er: „Am besten steigst du mit ein paar Betrachtungen über die schittere Weltlage ein und machst dann eine Überleitung zum Schönen und Guten. Die Ansprache soll Hoffnung machen und gleichzeitig wie eine Brücke zwischen dem Gestern und dem Morgen wirken. Etwas Staatsmännisch-Privates halt, du weisst schon. Wichtig ist: lass ein paar Leerstellen für persönliche Angaben. Die setzt der Kunde später selber noch ein.“ Darauf ich: „Wenns weiter nichts ist.“ Darauf er: „Also, hü!“

Hofstetter: Ich glaubs einfach nicht.

Hofstetter: Dann kannst dus ja gleich testen. Am Anfang erwähnt er die schlimmsten Katastrophen des Jahres, dann macht er eine Kunstpause, dann erzählt er ein bisschen etwas über seine Frau und den Hund und die Schildkröten, dann sagt er, das sei jetzt vielleicht chli egoistisch, aber das spiele irgendwie ja keine Rolle, ämu nicht für ihn, und dann weiss er nicht mehr weiter, weil ich nicht mehr dazu kam, mir eine fetzige Pointe auszudenken. Nach „henu“ ist fertig; jede Wette.

Hofstetter (kommt durch die Wand zurück an den Tisch): Sooli.

Hofstetter: Was, „sooli“?

Hofstetter: Jetzt komme ich zum Höhepunkt des Abends, höhöhö.

Hofstetter: Falls du damit deine Ansprache meinst: wir vergitzeln fast vor Spannung.

Hofstetter: Wo ist eigentlich Gott?

Hofstetter: Keine Ahnung.

Hofstetter: Keine Ahnung.

Hofstetter: Keine Ahnung.

Hofstetter: Schade, eigentlich. Ich hätte es noch gut gefunden, wenn auch er meine Rede…aber gut. Ich kann sie ihm ja mailen (erhebt sich, klopft die beiden A4-Blätter ein paar Mal mit dem schmalen Rand nach unten auf den Tisch, schaut Hofstetter, Hofstetter und Hofstetter kurz tief in die Augen, streckt den Rücken durch und legt los):

„17 Tote bei einem Attentat auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris, 150 Tote beim vom Copiloten provozierten Absturz einer Germanwings-Maschine in den französischen Alpen, über 8000 Tote bei Erdbeben in Nepal, 9 Tote bei einem Amoklauf in einer Kirche in Charlestown (USA), 170 Tote bei einer Gasexplosion im Hafen von Tianjin, fast 2500 Tote bei einer Massenpanik in Mekka, 100 Tote bei Selbstmordanschlägen in Ankara, 224 Tote bei einem Flugzeugabsturz im Sinai und 80 Tote bei Terroranschlägen in Paris.

Dazu: Fifaskandale, VWbschisse, Flüchtlingsdramen – und als ob das alles noch nicht genug des Elends gewesen wäre, gabs kurz vor Schluss auch noch eine Weihnachtslieder-CD von Helene Fischer: 2015 war für viele Menschen kein schönes Jahr.“

(Kunstpause)

„Andrerseits: Ich durfte heuer 50 werden und mich dabei wie 30 fühlen; ich lebe mit der tollsten Frau, dem liebsten Hund und den toughsten Schildkröten der Welt in einem Quartier, das Chantal – die für heute Abend übrigens passen musste; der Hund und alles… – und mir längst zu einem Hort der Geborgenheit geworden ist. Wir sind weit über die Familiengrenzen hinaus umgeben von Leuten aus allen Alters-, Gesellschafts- und Berufsschichten, die es gut mit uns meinen und die den Wert einer Freundschaft nicht daran bemessen, wie oft man sich sieht oder wie häufig man sich abwechslungsweise wie dick zum Essen einlädt. Wir sind busper, zwäg und gesund und haben das seltene Glück, mit Tätigkeiten Geld zu verdienen, die uns Freude bereiten. Mit unserem Budeli gehts langsam, aber stetig aufwärts, und das, meine lieben Kollegen, habe ich in allererster Linie euch zu verdanken. Dafür möchte ich mich bei euch ganz, ganz herzlich bedanken. Danke!

Alles in allem war 2015 also doch ein gutes Jahr; ein sehr gutes sogar, ämu für mich und meinen Schatz, und wenn gewisse Leute jetzt einwenden mögen, dass sei amänd eine chli gar egoistische Sichtweise: henu.“

Hofstetter starrt Hofstetter erwartungsvoll an.

Hofstetter starrt Hofstetter erwartungsvoll an.

Hofstetter: Und? Ich meine: und weiter?

Hofstetter: Nichts weiter. Ich habe fertig, wie Michel Platini immer sagt.

Hofstetter: Komisch. Ich dachte, nach „henu“ komme noch was.

Hofstetter: Ich auch.

Hofstetter: Nein, da kommt nichts mehr. Nach „henu“ ist fertig.

Hofstetter: Wieso?

Hofstetter: Weil…weil…ich fand einfach, das sei ein guter Schluss. Er macht einen Punkt und lässt doch alles offen. „Henu“ ist sozusagen die Brücke zwischen dem Gestern und dem Morgen. Das wollte ich damit sagen. Etwas mit Brücke. Aber wenn ihr das nicht versteht…

Hofstetter: Gibs doch zu: dir ist sonst nichts mehr eingefallen.

Hofstetter: Stimmt. Für jeden Mist nimmst du dir Zeit ohne Ende, aber wenns darum geht, für uns eine kleine Rede zu schreiben, pressierts dermassen, dass nach „henu“ nichts mehr kommt. Ich finde das ein wenig…

Hofstetter: …heieiei! Wir sind hier nicht an der UNO-Generalversammlung! Und überhaupt bin ich der Chef. Wenn ich finde, nach „henu“ müsse nichts mehr kommen, kommt nach „henu“ auch nichts mehr.

Hofstetter: Henu.

Hofstetter: Henu.

Hofstetter: Henu.

5 Kommentare

  1. also, ich persönlich und in einzahl mag es der ganzen hofstetterei inklusive der besten ehefrau von allen, hund und kröten von herzen gönnen, dieses tolle 2015. möge es 2016 genau so weitergehen. oder wo möglich noch besser.

    henu.

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