Ahnungslos, aber unabhängig

Weil die Seite noch nicht ganz voll war Um der werten Leserschaft zu zeigen, dass erstaunlich viele Kommunikationswege in die Redaktion führen, schrieb ich in der BZ letzte Woche Folgendes:

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Die Reaktion aus der Betupften-Ecke erfolgte absehbar umgehend: „Die launige Kolumne impliziert, dass alte Bauern aus abgelegenen Bergregionen als Prototypen für internetunkundige Menschen gelten können“, mailte S.K. aus Thun. „Als Tochter eines Landwirts und Schwester zweier Landwirte mit abgeschlossenem Agronomiestudium an der ETH kann ich diesen Vergleich nicht unwidersprochen hinnehmen. Diesen ‚alten Bauern‘ wird Rückständigkeit attestiert. Ist es nicht ebenso rückständig, noch immer Bauern als Beispiele für dumme Tölpel aufzuführen?“

Ein paar Tage später sass ich mit Hannes Zaugg-Graf in der kulturfabrikbigla in Biglen als „Aschis Gaschtig“ vor Publikum auf einer Couch. Irgendwann fragte der Talkmaster die Zuhörerinnen und Zuhörer, wer ein Konto bei Facebook habe. Es ging nicht eine Hand nach oben.

Das war, bei vielleicht 50 Gästen, schon erstaunlich genug. Doch als wir uns nach dem offiziellen Teil zu zwei – pardon! – mittelalterlichen Damen an den Tisch setzten, um nochli weiterzuplaudern, zeigte sich: So selbstverständlich, wie „man“ meinen könnte, ist der Umgang mit dem Internet für viele Leute tatsächlich nicht; oder noch nicht. Facebook? Blogs? – „Das ist mehr etwas für die Jungen“, lächelte die eine Frau.

Ich hatte nicht das Gefühl, dass ihr dieses Unwissen peinlich war. Vielmehr ist es wohl einfach so, dass sie tiptopp durchs Leben kommt, ohne an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr mit jemandem vernetzt zu sein. Sehr wahrscheinlich kann diese Frau Stunden und Tage mit sich alleine verbringen, ohne auch nur einmal das Gefühl zu haben, dass ihr etwas oder jemand fehle.

Ich bin ziemlich sicher, dass diese Frau über eine Souveränität verfügt, die der atemlos dauerkommunizierenden „Generation Facebook“ fremd ist und immer fremd bleiben wird. Wenn sie etwas lesen will, greift sie zur Zeitung oder zu einem Buch. Wenn sie etwas zu sagen hat, trifft sie sich mit der betreffenden Person oder sagt es ihr per Telefon. Wenn sie jemandem schreiben will, setzt sie sich hin und schreibt einen Brief. Die ständige Angst, etwas ungeheuer Wichtiges zu verpassen, kennt diese Frau nicht.

Vielleicht geniesst diese Frau mehr Lebensqualität als mancher, der sein Wohl von der Anzahl Mails abhängig macht, die er tagtäglich erhält; oder der seinen Stellenwert in der Gesellschaft daran misst, wieviele „Freundinnen“ und „Freunde“ er in Online-Foren um sich scharen kann.

Wer weiss: In einer Zeit, in der mit verdächtiger Regelmässigkeit postuliert wird, wie unabhängig das Internet die Menschenheit doch mache, ist diese Frau womöglich eine der letzten wahren Unabhängigen.

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