Altmeisterhafte Gelassenheit

Mark Knopfler beherrscht nicht nur die Kunst des Komponierens und Gitarrespielens aus dem Effeff. Er ist auch ein Meister des Geschichtenerzählens.

Das hat er im Verlauf seiner Karriere als Kopf der Dire Straits und als Solokünstler schon zigmal bewiesen: „Telegraph Road„, „Romeo and Juliet„, „Speedway at Nazareth“ – das sind Lieder, die dem Zuhörer wegen der traumhaften Melodien und dank der Texte im Kopf haften bleiben (ein kleiner Überblick auf das literarische Schaffen des 63-Jährigen findet sich hier).

Rau und zärtlich, cool und herzerwärmend, lakonisch und weise: So hört es sich an, wenn Knopfler von Menschen berichtet, und von Landschaften, und von Stimmungen und von Gefühlen. Und so klingt es auch und ganz besonders auf „Privateering“, dem ersten Doppelalbum des Künstlers, der weltweit längst als Superstar gilt, und der trotzdem wirkt, als ob er zum Glücklichsein nicht mehr benötigen würde als eine Gitarre und ein paar Kollegen, die ebenfalls Freude haben am gemeinsamen Musizieren.

Von all den synthetischen Mäscheli und Bändeli, mit denen Knopfer seine Kompositionen zu Dire Straits-Zeiten oft verzierte, sind nur Fetzen übriggeblieben. Im Vergleich zu Epen wie „Love over Gold“ oder „Brothers in Arms“ nimmt sich „Privateering“ wie anderthalb Stunden Kammermusik aus.

Auf ein

Jahrhundert-Solo

wie jenes, mit dem Knopfler die „Sultans of Swing“ zu einem Juwel der Rockmusik veredelte, wartet der Hörer von „Privateering“ vergeblich.

Allerdings kennt der Gitarrist seine Pappenheimer inzwischen gut genug, um zu wissen, dass manche von ihnen auch 35 Jahre nach „Sultans…“ mit weit geöffneten Ohren vor den Lautsprechern sitzen und auf weitere akrobatisch-geniale Einlagen auf den sechs Saiten warten. Knopfler spielt mit diesen Erwartungen, indem er hin und wieder wie aus dem Nichts zwei, drei messerscharfe Töne aufblitzen lässt – nur um gleich wieder abzubremsen und gemütlich fortzufahren.

Im Bewusstsein darum, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen, finanziell durch alle Böden abgesichert zu sein und mit entsprechend grosser Gelassenheit macht Knopfler auch auf „Privateering“ nur, worauf er Lust hat. Und Lust hat er seit einem geraumen Weilchen primär auf das Schreiben von Songs, die den Zuhörer in Gegenden entführen, in denen er und seine Mitstreiter sich wohl fühlen. Das kann eine irische Wiese sein oder das schottische Hochland oder ein finsterer Hafen oder eine düstere Spelunke.

In jedem Fall sind es Orte, in denen Menschen leben, die etwas zu erzählen haben. Zum Untermalen ihrer Geschichten verwendet Knopfler Klangfarben, die von Musikern mit seiner Vergangenheit eher selten eingesetzt werden: Violinen, Flöten, Banjos, Mundharmonikas, Akkordeons oder alte Klaviere lassen erkennen, dass es dem mehrfachen Grammy-Gewinner ein grosses Anliegen ist, sich so weit weg wie möglich vom Bombast-Rock zu entfernen und sich so behutsam wie möglich den Ursprüngen des Country, Folk und Blues zu nähern.

„Privateering“ (zu Deutsch: „Freibeutertum“) gehört zum „Alters“werk eines Mannes, dem niemand verübeln würde, wenn er all die Freiheiten, die er dank seiner Fähigkeiten hat, für sich alleine geniessen möchte.

Aber Egotrips sind – so in sich gekehrt er auf der Bühne auch scheinen mag – Knopflers Sache nicht. Er nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer lieber mit auf eine Reise, deren Ziel er selber nicht zu kennen scheint.

Und deren Ziel er vermutlich auch gar nicht so genau kennen will.

4 Kommentare

  1. Muss Mann denn dafür noch Werbung machen? 😉

    Es sind diejenigen Alben, welche bei jedem „losen“ immer besser werden, welche mich beeindrucken.

    Beeindruckend.

    Ebenso diese Rezension.
    Danke Hannes.

  2. Nach der Lektüre dieses Textes ist der Blindkauf von „Privateering“ für mich PFLICHT!!!

    Merci veumou, Brüeder-♥

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