Auf hohem Niveau gestrandet

Bevor mir jemand vorwirft, ich sei chli befangen: Ich bin chli befangen.

Eine Band, deren Schlagzeuger aus Beinwil am See stammt und die nicht nur am Hallwilersee probt, sondern auch regelmässig dort auftritt, wo meine dicksten Wurzeln wuchern, hat bei mir einen Bonus, den andere Exponenten Schweizer Musikschaffens leider, leider nicht haben.

Nur: Diese Extrapunkte benötigen die Stranded Heroes gar nicht. Was sie brauchen könnten, wäre ein Pressetext, der nicht schon im ersten Satz die längst zu Tode bemühten „satten Riffs und packenden Beats“ als „authentisch und unverkennbar“ anpreist. Bei Medienleuten, die noch einen Rest Ehrgefühl haben, landen derlei Verlautbarungen im Papierkorb. Die beigelegte CD verschenkt die Musikredaktion beim vorweihnächtlichen Büroausmisten samt zig anderen ungehörten und -besprochenen Mustern hoffnungsfroher Newcomer an die Kollegen. Diese entsorgen den Silberling irgendwann, ohne ihn je in das Abspielgerät geschoben zu haben.

Und das hätten weder die gestrandeten Helden verdient noch all die nach neuer Nahrung lechzenden Freunde intelligenter Rockmusik, die in Zeiten der galoppierenden Rapitis und Jamesbluntisierung zunehmend das Gefühl beschleicht, verhungern zu müssen.

„Metamorphin“, das Erstlingswerk des 2008 gegründeten und bereits ziemlich bühnenerfahrenen Quartetts, hört sich streckenweise an, als ob man Nightwish die Keyboards weggenommen und gesagt hätte: „So. Jetzt zeigt doch mal, wie ihr so klingt ohne all die synthetischen Mäscheli und Bändeli, die ihr immer um eure Songs wickelt, damit sie möglichst bombastisch wirken.“

Und wumm!

Die Stranded Heroes sind quasi „Nightwish netto“. Nur origineller, frecher und mit mehr Mut zum Risiko. Während Nightwish elektronisch verzuckertes Schwerverdauliches auftischen, kreieren die Heroes erfrischend fettarme Menüs. Wobei – Bonus hin oder her – der Vergleich ein wenig hinkt: Die Finnen mit ihren Ausnahmesängerinnen verkaufen seit bald zwei Jahrzehnten Millionen von Platten und sind auf einer Briefmarke verewigt. Die Aargauer mit ihrer Ausnahmesängerin veröffentlichen im Herbst 2011 ihre erste CD. Welche Vorkehrungen die Schweizerische Post im Hinblick auf dieses Ereignis trifft: Niemand weiss es.

Tatsache ist: Mit ihrem Debütalbum rammen die Stranded Heroes auf dem Feld des alternativ getunten Melodic-Rock einen dicken Pflock in den Boden. 40 Sekunden hat Anja Bolliger auf „Bed of Ivory“, dem ersten Song, Zeit, um ihre hierzulande wohl einzigartige Stimme – sie klingt wie in Guinness getränkt – durch den Raum schweben zu lassen und der Welt zu zeigen: „Hier sind wir. Und wir meinen es ernst“. Dann zersägt ein fieser, scharfer Gitarrenakkord von Stefan Voramwald den fast mythisch anmutenden Monolog der Frau. Sekunden später macht sich die Rhythmusabteilung mit Basser Mash Lüscher und Drummer Kusi Hintermann an die Arbeit und – wumm!

Was in der folgenden halben Stunde aus den Lautsprechern in die Gehörgänge fräst, rummst und fägt und harmoniert von A bis Z. Handwerklich gibts nicht das Geringste auszusetzen; textlich beschränkt sich der flotte Vierer erfreulicherweise nicht darauf, die immer gleiche Geschichte vom einsamen Mann und der verzweifelten Frau zu erzählen, die sich zu vorgerückter Stunde in einer Bar treffen und Monate später wieder ihrer eigenen Wege gehen. „An Stränden aus Gold und Grau stranden die Helden, packen ihr Werkzeug aus und erzählen von Neuland, Aufbruch und dem Zurückgelassenen“, fasst der Pressetexter zusammen, und beweist damit, dass er auch anders kann, wenn er nur will.

Beim dritten Durchhören steht fest: Die Stranded Heroes könnten auch aus Chur oder Zollikofen stammen – ich fände sie trotzdem sackstark.

Stranded Heroes live:

– 2. Juli: Rock and Ride, Jegenstorf BE,
– 13. August: Heitere Open Air, Zofingen
– 26. August: Dorffest zum 150. Geburtstag der Musikgesellschaft Beinwil am See

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