Aus dem Leben eines Playaboys (III)

Begrüssungsapéros sind laut den Hotelverantwortlichen dazu da, den neuen Gästen die Möglichkeit zu bieten, sich kennenzulernen. Den vertrauten Orangensaft literweise durch die vom Flug und der Hitze ausgetrocknete Kehle schüttend oder süüferli an einem dieser bunten Drinks nippend, die man vom „Traumschiff“ her kennt („Koste mal, Heinz! Mango!!“), sollen die sich Fremden schnell zu Freunden werden, die miteinander wie gewünscht und gebucht die schönste Zeit des Jahres verbringen.

Weiter ist es für die Gastgeber natürlich praktisch, wenn sie die ahnungs- und arglosen Frischlinge in dieser ganz und gar unverkrampften Athmos Atmos Atmosf Atmosph Stimmung darauf hinweisen können, dass alles, was man als Tourist so zum Leben benötigt, in der fortknoxartig gesicherten Hotelanlage erstanden werden kann. Nach draussen brauche sich im Grunde folglich niemand zu bemühen.

Natürlich; Auf eigene Faust durch die Stadt zu bummeln, sei jedem freigestellt, fügen die Begrüssungsapérodelegierten jeweils an. Nur: Jenseits des geschützten Hotelrahmens würden sie halt lauern, die über Seniorenleichen gehenden Appartmentverkäufer, mit allen Scheibenwischwassern gewaschenen Taxifahrer und unzählige weitere Gefahren, die aus den unbeschwerten Ferien schwuppdiwupp ein – kurze Kunstpause – tödlich endendes Abenteuer machen können.

Das alles interessiert die Teilnehmerinnen und Teilnehmer solcher Veranstaltungen nur sehr peripher. Ihnen ist primär daran gelegen, noch vor dem Zimmerbezug abzuchecken, welcher von diesen bleichen Heinis, die einem schon an der Rezeption, in der Schlacht um die Schlüssel, negativ aufgefallen sind, der grösste Konkurrent im Krieg um die besten Poolplätze sein wird. Und welche von diesen aufgedonnerten Schlampen frau später, am Buffet, wie ausbremsen muss, um den Teller vor allen andern randvoll mit all dem exotischen Zeugs zu füllen, das adrett auf crushed Eis drapiert darauf wartet, kurz probiert und dann stehengelassen zu werden.

Wer die ersten Stunden auf dem fremden Terrain überlebt und am dritten Tag vielleicht sogar eine Zigarette auf dem Trottoir vor dem Hotel rauchen konnte, ohne im milden Licht des frühen Morgens von einer Maschinengewehrsalve aus dem gegenüberliegenden Parfümladen niedergemäht zu werden, kommt womöglich auf die tollkühne Idee, einmal auswärts zu essen gehen. Mit etwas Glück landet er oder sie dann in einem Lokal, in dem nicht nur Currywurst oder Eisbein, sondern auch einheimische Spezialitäten zur Auswahl stehen.

Ich zum Beispiel genoss unten am Strand eine

wunderbare Paëlla.

Während ich so vor mich hinkaute, überlegte ich mir, ob ich mir überlegen soll, wieviele von den 19 Euro, die ich für den Reis und die Scampi und das Huhn und die Muscheln und das Kaninchen und die Erbsli und alles hinlegen würde, wohl bei dem Fischer landen, der Nacht für Nacht hinausfährt, um die für derlei Speisen erforderlichen Zutaten mühevoll aus den unergründlichen Tiefen des Ozeans zu hieven, derweil zuhause Frau und Kinder mantramässig ihr „Petri Heil“ beten, auf dass ihr Geliebter und Ernährer einen guten Fang mache, auf dass wiederum sie etwas Sättigendes und Warmes in die Mägen bekommen; oder wenigstens ein paar Fische, die von den Einkäufern der Grossverteiler und den Restaurantbesitzern an der Promenade als zu mickrig taxiert und dem Lieferanten kaltschnäuzig vor die Füsse geknallt wurden.

Aber dann dachte ich: Darüber nachzudenken, ist für jemanden, der von Betriebswirtschaft soviel Ahnung hat wie ich, sinnlos. Ich bin ja kein Önologe. Den Gesprächen an den Nebentischen zu lauschen, hatte einerseits einen gewissen Unterhaltungswert („Playa heisst auf Spanisch soviel wie spielen“). Andrerseits wars aber auch ziemlich bemühend. Das Gemecker über das Land und die Menschen, die es bewohnen, wollte nicht enden. Es ist aber auch ein Elend: Da verschuldet man sich Jahr für Jahr aufs Neue über beide Ohren, um der Misère daheim wenigstens für zwei Wochen entfliehen zu können – und dann kostet eine Strandliege 3 Euro pro Tag.

Zum Sympathieträger der Woche erkor ich spontan jenen Herrn (die Nationalität des Deutschen spielt keine Rolle), der seine aktuelle Lebensabschnittspartnerin vermutlich nur deshalb in die Ferien begleiten durfte, weil er wenige Stunden vor dem Abflug fast ohne Zicken zu machen akzeptiert hatte, dass sie diese Reise primär für ihren und mit ihrem Sohn unternimmt.

Als das etwas wackelig wirkende Familienmodell auf den drei somit nicht mehr freien Plätzen an meinem Tisch installiert war, fragte der vielleicht fünfjährige Bub, was ich da esse.

Bevor ich etwas sagen konnte – nicht, dass ich unbedingt etwas hätte sagen wollen – antwortete der Vater auf Zeit: „Ne Pälla.“

Der Bub (ernsthaft interessiert): „Was ist das? Was ist da drin?“

Der Mann (in einem Ton, in dem der ganze Frust darüber mitschwang, die Ferien mit dem lästigen Goof absitzen zu müssen, statt sie liegend mit scharf und allem nur mit der Mutter geniessen zu können): „Meerscheiss. Musste nicht haben.“

Daraufhin bestellten alle drei original echte Wiener Schnitzel mit Pommes, wobei der Kleine auf seinen vielseitigen Wunsch hin ebenfalls eine Erwachsenenportion vorgesetzt bekam, von der er tatsächlich einen Viertel vertilgte. Der Rest – darunter das komplette Schnitzel – : Return to sender.

Und damit wirds Zeit für ein bisschen Musik. Ich bin gleich wieder da. Mit einem neuen Trend, Beobachtungen von der Kellnerfront – und mit einer Frage, die kein Mensch je wird beantworten können.

Schön, nicht?

Für die jüngeren Leserinnen und Leser: Das Lied ist 60 Jahre alt und wird von Elvis Presley gesungen. Der checkte erst im Heartbreak Hotel ein und dann – das war noch im letzten Jahrtausend – im Rock’n’Roll-Himmel, weil er zuviele Hamburger und Tabletten gegessen hatte. Denkt also mal über eure Grundnahrungsmittel nach.

Wenn wir thematisch schon in die Höhe gestiegen sind: Beim Pällaessen entdeckte ich einen neuen Einrichtungstrend. Wer für seine Bilder keinen Platz mehr an den Wänden findet, hängt sie einfach an die Decke:

Tate Gallery. Museum of Modern Arts. Louvre. Stiftung Uetendorfberg: Wieviele Bilder mögen, von der Öffentlichkeit unbeachtet, in den Kellern dieser Kunstinstitutionen lagern? Da eröffnen sich doch völlig neue Perspektiven, in jeder Hinsicht! Und das alles dank eines Beizers in Playa del Inglés, der eines Tages nicht mehr wusste, wohin mit seinen Postern.

A propos „Beiz“: Obwohl ich nun schon seit drei Tagen auf dieser Insel bin, hat sich mir das auf Vollbeschäftigung beruhende Arbeitsprinzip der hiesigen Kellner noch immer nicht zur Gänze erschlossen. Vor allem habe ich etwelche Mühe damit, zu kapieren, wie das rentieren kann.

Aber eben: Ich bin kein Ökologe.

Das Vollbeschäftigungsprinzip der Kellner auf Gran Canaria geht so:

Kellner A zerrt den Passanten in die Beiz, und zwar unabhängig davon, ob dieser bereits gegessen oder woanders reserviert hat.

Kellner B rückt für den verdatterten Gast, der sich nur langsam mit seinem Schicksal abfindet, einen Stuhl zurecht.

Kellner C sagt dem Gast etwas Nettes.

Kellner D erkundigt sich danach, was der Gast zu trinken gedenke.

Kellner E fragt den Gast, ob er etwas zu essen wünsche.

Kellner F bringt das Getränk.

Kellner G bringt die Speisekarte.

Kellner H notiert die Bestellung.

Kellner C schaut erneut vorbei, um etwas Nettes zu sagen.

Kellner I deckt den Tisch ein.

Kellner J schleppt einen Zweiliterkrug Wasser an, mit Limettenschnitzen und der halben Antarktis drin.

Kellner K bringt das bestellte Getränk.

Kellner L hat mit dem Gast eigentlich nichts zu tun, will aber trotzdem wissen, ob alles in Ordnung sei.

Kellner M bringt die Vorspeise.

Kellner N räumt die Vorspeise ab.

Kellner O wechselt das zum Teil noch gar nicht benutzte Besteck aus.

Kellner P bringt den Hauptgang.

Kellner C schaut vorbei, um etwas Nettes zu sagen.

Kellner Q räumt ab.

Kellner R ist derjenige, der

Kellner S ausrichtet, dass man gerne zahlen möchte.

Kellner T bringt die Rechnung auf einem Klemmbrettli:

Kellner U holt das Klemmbrettli mit dem Geld darauf ab.

Kellner V bringt das Wechselgeld.

Kellner W behändigt das Trinkgeld.

Kellner X verabschiedet den Gast wortreich.

Für die Kellner Y und Z gabs in meinem Fall nichts zu tun. Ich hätte noch ein Kafi ordern sollen.

Dann geht man, überraschend tiptopp verpflegt, zurück auf die Strasse. Dort fallen einem als Erstes die vielen jungen und fast schon beänstigend aufgestellten Menschen auf, die den Touristen Flyer verteilen. Diese künden in knallbunten Grossbuchstaben davon, dass in der Disco „Dreamland“ (oder in einem vergleichbaren Tanz- und Knutschschuppen) heute Abend Die! Absolute! Megagigasuperduperschaumparty! steige, zu der man hiermit aufs Herzlichste eingeladen sei, sofern man 15 Euro Eintritt und die Getränke selber bezahle.

Wenn man an diesen Flyerverteilern vorbeispazieren kann, ohne dass sie einen bis unter die Hoteldusche verfolgen: Spricht das gegen die Arbeitsmoral dieser jungen Leute?

Oder vielleicht doch eher dafür, dass man ab einem bestimmten Alter mit einem gewissen Auftreten dermassen abgeklärt wirkt, dass einem derlei Angebote nicht den geringsten Eindruck mehr zu machen vermögen?

(Morgen live von der Insel: „Das Leben am Pool ist kein Zuckerschlecken, wenn das Kolosseum in Trümmern liegt und Neil Young „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ singt).

Bereits erschienen:

„Die Dünen von Maspalomas: Gigantisches Openair-Sexparadies oder überdimensionierter Sandhaufen? – Ein Selbsterfahrungsbericht.“

„Ohrfeigen im Dutyfree-Shop, künstlicher Regen und Flugzeuge mit Untergewicht.“

5 Kommentare

  1. …. stellt sich den unter „petri heil“ wünschen der armen familie im meer vor gran canaria reis und kanninchen fischenden vor und verabschiedet sich amüsiert ins wochenende.

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