Aus dem Leben eines Playaboys (IV)

Er kam ohne Warnung: Der Einschlag von vier Japanern Chinesen Koreanern Asiaten auf dem Westflügel des Hotelpools riss auch mit ausgeschalteten Hörgeräten dösende Gäste aus ihrer wohligen Lethargie.

Seither ist nichts mehr, wie es einmal war. Hinlegen, Augen schliessen – schon fühlt man sich wegen des ununterbrochenen und zuweilen fast unverständlichen Geschnatters aus Fernost wie an einem gigantischen Ententeich statt in einer Oase der kollektiven Kontemplation.

Die Schweizer Fraktion unter den Umliegenden nimmts gelassen: Morgen früh schlottert das Quartett ein paar Lawinen vom Jungfraujoch oder knipst das Kolosseum in Rom in handliche Stücke (nein: Nicht „oder“. „Und“.).

Am Nachmittag – die Asiaten sind nach dem Trip ins Berner Oberland und einer für alle Beteiligten unvergesslichen Reise nach Rom im Basislager zur Eiffelturmspitze angelangt, ohne ein Gesicht oder eine Kamera verloren zu haben; Letzteres wäre eine Katastrophe – treffen sich die von den Ereignissen etwas überrumpelten Spitzen des Römer Tourismusbüros auf den Trümmern des Kolosseums zur Lagebesprechung:

– „Und jetzt? Was machen wir jetzt?“

– „Kasse. Soviel Kasse wie noch nie.“

– „Bene. Wieviel haben die Berliner damals für un piccolo pezzo Mauer verlangt? 10 Mark? Machen wir 50!“

– „Bei den Viagravorräten des Berlusconi! Du kannst doch nicht die Mauer mit dem Kolosseum vergleichen! Wie lange stand das eine? Wie lange ist das andere schon da? 100, Minimum. Plus Steuern, Zoll und alles.“

– „Gut. 500.“

– „500 was? Euro?“

– „Das sehen wir dann. Kommt auf die Griechen an. Irgendwie kommts ja immer auf die Griechen an.“

– „Merda!“

– „Hat übrigens jemals ein Kaiser auch nur einen Fuss auf die Mauer gesetzt?“

– „Nein. Aber Kennedy.“

– „Das ist etwas anderes. Kennedy ist tot.“

– „Caesar auch.“

– „Wie gesagt: Das ist etwas anderes. Kennedy ist Kennedy. Caesar ist Caesar. Und ich bin hier der Chef.“

– „Naturalmente. Ich meinte ja nur.“

– „Also. Mit Steuern, Zoll, Caesar, Nero, den Christen und den Löwen und so weiter: 800.“

– „Runden wir auf. Touristen haben sowieso nie Münz. Und wenn doch, schmeissen sies in den Brunnen von dieser Ekberg. 1000.“

– „Pro Stein?“

– „Pro Eintritt. Die Steine kosten extra.“

(In den wachsamen Augen ganz sensibler Zeitgenossen mag das mit den Asiaten vielleicht chli rassistisch erscheinen. Nun denn: Verklagt mich doch. Denkt einfach daran: Ich blogge hier unter iberischer Flagge in königlich-spanischem Hohheitsgebiet. Viel Spass mit den Rechtshilfeersuchen!)

Zurück zum Pool. Eigentlich wollte ich heute die wenigen geschriebenen und vielen ungeschriebenen Regeln, denen das Dasein an demselben unterworfen ist, zum Mittelpunkt meiner Ausführungen machen. Im Kopf hatte ich, wie sich das für einen gewissenhaften Journalisten auch im temporären Ruhestand gehört, schon einen packend-informativen Einstieg vorformuliert und mir etwelche Mühe gegeben, dabei nicht allzusehr ins Boulevardeske abzugleiten:

„Das Areal rund um den Hotelpool ist eine Welt für sich. Nirgendwo sonst – nicht einmal im Bundes- oder einem anderen Rat – wird so fies intrigiert, skrupellos geellböglet, hinterhältig taktiert, ungeniert geschnödet oder kurz: um den eigenen Vorteil gerungen wie an diesem Wasserbecken, an dem nicht wenige ihre kompletten Ferien durchstehen, -liegen und -höcklen, obwohl sie sich in Zürich-Kloten noch so darauf gefreut hatten, jetzt endlich einmal „das andere Gran Canaria“ zu entdecken. Das mit dem Essen bei Eingeborenen samt Ritt auf Pablito, dem eigens dafür gezüchteten Eseli.“

Am Beispiel des Liegenbesetzens by Badtüechli zu nachtschlafener Stunde wollte ich aufzeigen, wie idiotisch sich äusserlich völlig normal wirkende Leute aufführen, wenn es darum geht, sich die Poleposition am Pool zu sichern. Aber dann bemerkte ich am Beckenrand dieses Schild:

(Brille verlegt? Kontaklinsen verloren? Auf der Tafel steht in sämtlichen gängigen Weltsprachen, es sei verboten, die Liegestühle vor 9 Uhr morgens zu okkupieren.)

Damit war meine Geschichte natürlich gestorben.

Glaubte ich…

…bis ich um kurz nach 5 waseliwas sah?

Um Missverständnissen vorzubeugen und dem sicher auch hier mitlesenden Geheimdienst mit aller gebotenen Deutlichkeit klarzumachen, dass ich null Interesse an einem Jobangebot habe: Ich stand nicht extra so früh auf, um zu kontrollieren, ob amänd doch schon ein Liegestuhl besetzt sei. Ich bin um diese Zeit immer puurlimunter und platze schier vor Tatendrang.

Was nun? Sollte ich die Geschichte wiederbeleben? Oder in Frieden ruhen lassen? Sind auch für Geschichten Wiedergeburten denkbar? Was, wenn sie auf einmal in Form eines Hinterdenkulissenberichts aus dem Musikantenstadl vor mir steht?

Während ich versuchte, mich zu einer Entscheidung durchzuringen, fielen die Mitbewohner des Hotels über das Zmorgebuffet her wie Piranhas nach dem Ramadan über eine frisch geschächtete Kuh und plünderten die bis zum Rand mit süssen und sauren und scharfen und milden und fetten und gesunden Köstlichkeiten gefüllten Hochglanzbecken bis auf die letzte Haferflocke.

Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen. Ich wurde ganz konfus: Nebenan ging die Dusche los. Ein Auto fuhr vorbei. Die Hotelkatze hob den Kopf. Draussen bestellte ein Mann aus dem Land Goethes und Grönemeyers, beherzt seinen ganzen Fremdwörterschatz plündernd, „una Serwessa mas!“ (alle Männer bestellen hier immer „una Serwessa mas“, egal, was für Zeit ist, und unabhängig davon, obs der Gemahlin passt oder nicht. Ich bleibe beim agua mineral. Wenn ichs an der Bar richtig krachen lassen will, darfs auch mal ein Cola Zero sein). Laut klopfend begehrte das Zimmermädchen („Zimmermädchen“ ist ein gutes Stichwort: Heissen die Zimmermädchen immer noch Zimmermädchen? Oder gibts es nun auch dafür einen jedes Visitenkartenformat verhöhnenden Fachbegriff im Sinne von „Junior Vice Consultant Underwriter in the Back Office of the Room Service & Cashuality Affairs Department at Parque Tropical Hotel, Playa del Inglés, Gran Canaria?“) Einlass in Camera 120.

Ich tat, was ein Mann in solchen Situationen eben tun muss: Ich ging zum Strand. Untewegs zählte ich die Palmen. Als ich unten angekommen war, hatte ich die Sache mit der Geschichte vergessen.

„Comes a time“, sang Neil Young mit seinen „Crazy Horse“ 1978 (für Zeitgenossen mit ramponiertem Kurzzeitgedächtnis):

Genau der Neil Young, der mit seiner Band soeben das Album „Americana“ produziert hat, das „fantastisch“, „grossartig“, „zeitlos“, „wegweisend“ „epochal“ oder „grandios“ nennt, wer the british art of understatement zu schätzen weiss, dieser Neil Young also sagte im Zusammenhang mit Poolliegestühlen und Woodstock einmal…

…Mist. Jetzt habe ich den Faden verloren.

Jedenfalls: Gestern Abend stieg, von den aus diesem Anlass ganz besonders hell strahlenden Sternen beschienen, die von allen mit einer fast schon fiebrig zu nennenden Vorfreude herbeigesehnte grosse Schlagersause. Weil ich keine anderweitigen Projekte hatte, nahm ich in dem grossen Openairrestaurant irgendwo Platz, wos grad noch Platz hatte, und liess mich, im Beisein von sechs oder sieben anderen Zuhörerinnen und Zuhörern (darunter ein Hotelkoch und eine Serviertochter) auf eine Zeitreise durch die letzten Jahrzehnte entführen: „Anita“, „Blue blue, blue Johnny blue“, „La paloma blanca“, „Ein Stern, der deinen Namen trägt“…unsere kleine Schicksalsgemeinschaft wurde von der mit voller Wucht über uns hinwegrollenden musikalischen Schleimmasse beinahe von den Sitzen gespült.

Auch oder gerade weil das Duo konsequent auf mindestens Halbplayback setzte und gänzlich darauf verzichtete, Liedgut von George Michael, Phil Collins und James Blunt zum Vortrage zu bringen, verbuchte ich das als grande Spettacolo angekündigte Geschrummel als nette Abwechslung im ansonsten doch eher spettacolofreien Ferienalltag.

Wie die Künstler heissen, ist mir über Nacht entfallen. Dafür weiss ich noch, dass sie einen schwarzen Minijupe trug und er eine Frisur hatte, die vor 30 Jahren topmodern gewesen sein musste.

„Topmodern“…“topmodern“…ach ja: Das Lied von Neil Young! Auf „Comes a time“ kam ich (vermutlich) nicht wegen des Pools, sondern, weil für die time des Abschieds von diesem Fleckchen Erde mit fast chli beunruhigend grossen Schritten naht. Noch heute, morgen, übermorgen – und schon ist wieder fertig Lustig.

Weitere Ferienpläne? Momoll, die gibts.

Aber eher für später.

Nachtrag: Ich sehe gerade – es gibt sie noch, die Zimmermädchen.

(Morgen live von der Insel: Wie man sich ein Missverständnis von der Palme schüttelt und das weltweit erste Bild des Mannes, der auf den Kanaren das Wetter macht. Dazu: Wie ich den Euro rette.)

Bereits erschienen:

„Das Vollbeschäftigunsprinzip der kanarischen Kellner, ein frustrierter Lebensabschnittspartner und neue Perspektiven für Galerien“.

„Die Dünen von Maspalomas: Gigantisches Openair-Sexparadies oder überdimensionierter Sandhaufen? – Ein Selbsterfahrungsbericht.“

„Ohrfeigen im Dutyfree-Shop, künstlicher Regen und Flugzeuge mit Untergewicht.“

1 Kommentar

  1. Ich frage mich grade ernsthaft, was schlimmer ist: Die Liegestuhlreservations-Autonomen oder die Badetüechli-Gestapo. Das gehört in meinen Augen in dieselbe Wäscheschrankschublade.

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