„Ausgebremst oder eingeschüchtert“

„Wir erwarten, mit Anstand und Respekt behandelt zu werden“: Bei der TX Group, zu der auch meine ehemalige Arbeitgeberin gehört, fordern Journalistinnen mit einem Protestbrief ein, was anderswo selbstverständlich ist.

Frei von Verständnis und mit wachsender Wut schaue ich seit einiger Zeit dabei zu, wie das Haus, in dem ich einen mehrheitlich schönen Teil meines Berufslebens verbringen durfte, von seiner Eigentümerin verlotterngelassen wird.

Kaum hatte die Tamedia aus Zürich 2007 „meine“ Berner Zeitung und den „Bund“ gekauft, verordnete sie beiden Publikationen technische und, vor allem: personelle Umstrukturierungen Sparmassnahmen, die zig hervorragende Journalistinnen und Journalisten nicht mittragen wollten, konnten oder durften.

Ende Oktober letzten Jahres teilte die Tx Group, wie die Tamedia inzwischen heisst, mit, sie wolle den „Bund“ und die BZ organisatorisch enger zusammenlegen. Wie diese Zwangsheirat zweier völlig unterschiedlicher Kulturen gelingen soll, solange Mitarbeitende der „Qualitätsblatts“ es nicht für nötig befinden, ihre unter demselben Dach bei der gelegentlich eher boulevardesken Mitbewerberin tätigen Kolleginnen und Kollegen zu grüssen, dürfte nicht nur mir ein Rätsel sein.

Und nun…nun stellt sich auch noch heraus, dass etliche männliche Führungskräfte der Tx Group ein Rollenverständnis pflegen, das mit „antiquiert“ sehr höflich umschrieben wäre. 78 Journalistinnen der Tagesanzeigers, der BZ, des „Bund“ und anderen Tx-Titeln teilten der Geschäftsleitung und den Chefredaktionen schriftlich mit, sie seien „nicht bereit, diesen Zustand länger hinzunehmen“.

Mit „diesen Zustand“ meinen sie konkret: «Frauen werden ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert. Sie werden in Sitzungen abgeklemmt, kommen weniger zu Wort, ihre Vorschläge werden nicht ernst genommen oder lächerlich gemacht. Frauen werden seltener gefördert und oft schlechter entlohnt», ist dem zwölfseitigen Schreiben zu entnehmen.

Etliche Journalistinnen berichten, was sie von Kollegen an sexistischen Sprüchen schon zu hören bekamen. Mit all diesem Missständen müsse Schluss sein, fordern die Unterzeichnerinnen. Sie verlangen, was anderswo seit jeher (oder zumindest schon seit einer Weile) zu den betriebsinternen Selbstverständlichkeiten gehört: «Wir erwarten, dass unsere Sichtweise und unsere Arbeit ernst genommen werden. Wir erwarten, dass die Beleidigungen und Beschimpfungen aufhören. Wir erwarten, mit Anstand und Respekt behandelt zu werden.»

Ich bin zulange von der BZ und aus dem aktiven Zeitungsgeschäft weg, um beurteilen zu können, inwiefern das Bemühen der Tamedia/Tx Group, immer noch mehr Geld zu scheffeln, etwas damit zu tun hat, wie Exponenten ihres leitenden Personals mit den Mitarbeiterinnen umspringen.

Vom Gefühl her würde ich sagen: ein Zusammenhang besteht, und wenn es „nur“ der ist, dass manche Platzhirsche offenbar denken, im Kampf um die paar noch verbleibenden Jobs seien alle Mittel erlaubt.

Gemäss dem Protestbrief wurde eine Tx-Journalistin während einer Videokonferenz von einem Kollegen gefragt, „bei dir im Hintergrund schreit ein Kind. Habe ich das mit dir gezeugt?“.

Falls diese Bemerkung überhaupt etwas Gutes hat, dann das: sie diente „Spiegel Online“ als Schlagzeile für eine Geschichte zum Thema „Einschüchterungen, Lohnungleichheit und Machosprüche“ bei der Tx Group. Dank dieses Titels dürfte sie von Hunderttausenden von Menschen gelesen worden sein.

Auch von solchen, die bisher davon ausgingen, dass ein Medienhaus, das immer wieder sehr schnell zur Stelle ist, wenn es darum geht, Unternehmen anzuprangern, die Anliegen wie die Gleichberechtigung, die Frauenförderung oder den Schutz vor sexueller Belästigung eher als notwenige Übel denn als zeitgemässe Formen des Miteinanders betrachten, längst weiss und vorlebt, wie solche Ziele umgesetzt werden.

1 Kommentar

  1. Alles richtig, keine Frage, aber wenn du schon die „Qualitätsblättler“ anprangerst: auch wir Verlagskolleginnen und -kollegen werden von hüben wie drüben oft und gerne ignoriert, nicht nur beim Grüssen.

    Ich weiss, die eine oder andere aus dem Verlag hätte auch einiges zum Thema zu sagen gehabt und auch mitunterschrieben.

    Man stelle sich die Wirkung vor, hätten sich Verlags- und Redaktionskolleginnen solidarisiert.

    Aber äbe.

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