Ausgestorbene Briefkästen und grosszügige Kleingewerbler

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„Schwarze Wände
erdrücken die Stadt
Sonne macht uns
zu oft nur eitel
doch schon zürnen Blitze
wütet der Himmel
ermahnt uns
wieder
zu Demut und Mass.“

(Hans-Christoph Neuert, deutscher Aphoristiker und Lyriker)

Wer in einem Verein aktiv war oder ist, weiss: Irgendwann – in der Regel vor einem grösseren Anlass des Clubs – kommt der Moment, in dem es ums „Flyern und Plakaten“ geht, und zwar möglichst bald und flächendeckend.

Sobald man dann mit einem Plasticsack voller Werbekram aufgebrochen ist, wird einem klar: Um Demut zu erlernen, bedarf es nicht am wütenden Himmel zürnender Blitze, wie Hans-Christoph Neuert zu wissen glaubt.

Es genügt vollkommen, in einem Laden oder in einer Beiz zu stehen, an deren Türen und Wänden bereits zig andere Plakate prangen und auf deren Tresen schon vier Biigeli mit Flugblättern von ebenfalls um die Publikumsgunst buhlenden Veranstaltern liegen, denen marktingmässig offenkundig nichts Gescheiteres eingefallen war, als in jedem öffentlichen Raum Drucksachen in den unterschiedlichsten Grössen und Farben zu deponieren.

Dem Lokalinhaber  –  wenns ganz dumm läuft, noch mit wartender Kundschaft im Rücken – zu erklären, man führe dann und dann dort und dort das und das auf und bitte ihn, den  Chef,  höflich darum, eines dieser Poster oder und ein paar Flyer dalassen zu  dürfen: Das macht einen wirklich demütig.

Und….ja.

Deshalb bummelt man erst einmal ein bisschen durch die Quartiere, und zwar nicht am heiterhellen Tag, wenn jedermann sieht, was in der Nachbarschaft läuft, sondern erst in der Dämmerung, wenn die Leute beim Znacht sitzen und nicht mitbekommen, dass ein Fremder gerade Werbung in mit „Keine Werbung“-Klebern beklebte Briefkästen wirft.

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Aber: Es geht nicht anders, irgendwie. Denn die Briefkästen, auf denen kein solcher Hinweis prangt, scheinen – von Greenpeace, WWF und anderen sich um die Arterhaltung bemühenden Institutionen unbeprotestiert – praktisch ausgestorben zu sein.

Den von Haus zu Haus streunenden Vereinsvertreter stürzt diese Tatsache ein ums andere Mal  in ein Dilemma: Einerseits will er die Leute auf etwas wirklich Gefreutes aufmerksam machen und nicht, wie das vor und hinter ihm durch die Gassen marodierende PR-Gesindel aus Politik und Wirtschaft, auf seine Verdienste um das Gemeinwohl, Billigstfleisch oder Spottgünstigmöbel.

Andrerseits weiss er nicht erst seit dem Berner Grossratswahlkampf aus eigener Erfahrung, wie mühsam es ist, jeden Tag einen Stapel Papier zu entsorgen, der unbestellt in die Mailbox vor der Türe geflattert ist.

Schliesslich findet er für das Problem eine zumindest für ihn akzeptable Lösung: Er steckt die Flyer fast nur in Briefkästen von (je nachdem auch sehr entfernten) Bekannten. Und nimmt sich vor, sich bei den Belästigten bei Gelegenheit für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, sofern seine Opfer sich bei einem nächsten Treffen in, sagen wir, vier Monaten, noch an das Flugblatt erinnern und ihn voller unverrauchten Ärgers darüber darauf ansprechen sollten.

Grundsätzlich ist es in der Schweiz sowieso nicht verboten, „Keine Werbung“-Kleber zu übersehen (in Deutschland hingegen schon. Dort läuft das unter „Persönlichkeitsverletzung“). Gemäss einem Bericht des Tages Anzeigers besteht hierzulande lediglich eine „unverbindliche Vereinbarung“ zwischen der Post, privaten Verteilern und Empfängern. Sie besagt, dass nur politische Werbung, Post von Hilfswerken oder Amtliches in alle Briefkästen gelangen darf.

Und wenn man lange genug darüber nachdenkt, dass ein Theaterverein wie zum Beispiel die Szenerie Burgdorf den Menschen dabei hilft, das Leben auch in kultureller Hinsicht in vollen Zügen Sälen zu geniessen, kommt man fast automatisch zum Schluss, dass es sich bei diesem Verein um nichts anders handelt als, genau: um ein Hilfswerk.

Das sehen die Inhaber von all den Beizen und Läden, die man schliesslich doch noch aufsucht, offenbar genauso. Ganz so schlimm, wie befürchtet, ist die Tournee durchs lokale Kleingewerbe jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil: Von ganz, ganz wenigen Ausnahme abgesehen, gibt es in Burgdorf – was die Stammleserschaft dieses Blogs kaum erstaunen wird – niemanden, der abwinkt, wenn man ihn fragt, ob man einen Teil seines Betriebes als Werbefläche nutzen dürfe. Manche der Angefragten helfen einem sogar noch mit Chläberli aus oder versprechen, falls alle verfügbaren Plätze schon vollgeklebt sind, das Poster zu montieren, sobald ein Eggeli frei wird.

Jene wenigen, die die Annahme verweigern, nennen dafür – in einem sehr freundlichen Tonfall, notabene –  immer denselben Grund:

Wenn sie jedes Mal, wenn jemand mit Werbematerial bei ihnen aufkreuzt, ja sagen würden, wäre ihr Geschäft innert kürzester Zeit bis zur Decke mit Plakaten zugeklebt und unter Flugblättern begraben.

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