Beim Gottlettaapasse

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Nach 20 Minuten Wartezeit, die sich mit einem uralten „Stern“ nicht einmal bewusstlos schlagen liessen, steht hinter mir das

Fräulein A: „So, dann können wir jetzt zum Waschen gehen.“

Ich: „Ich habe sie schon heute Morgen…“

Fräulein A: „Sie können gleich hier Platz nehmen.“

Ich nehme Platz.

Fräulein A dreht das Wasser auf und lässt den Strahl ungefähr eine halbe Stunde lang ins Becken fliessen. Dann richtet sie ihn auf meinen Kopf. „Gehts mit der Temperatur?“

Ich: „Ja. Kein Problem.“

Fräulein A definiert den Begriff „Waterboarding“ neu. Gleichzeitig drückt sie auf meiner Kopfhaut herum. Das Letzte, was ich in meinem Leben zu hören glaube, ist: „Eine Pflegespülung oder…“

Ich: „Nichts. Ist gleich. Machen Sie einfach.“

Fräulein A macht einfach. Greift zum Handtuch. Rubbelt mich trocken. „So.“

Ich: „…“

Fräulein A: „Dann können Sie wieder hier absitzen.“

Ich sitze wieder hier ab.

Fräulein A: „Ein Glas Wasser?“

Ich: „Danke, nein. Nur schneiden.“

Fräulein A: „Die Kollegin kommt gleich.“

Fräulein B kommt. „Und? Was machen wir?“

Ich: „Am besten einmal rundherum und drüber.“

Fräuleib B: „Darf ich mit der Maschine?“

Ich: „Klar. Machen Sie nur.“

Fräulein B macht. Kaum hat sie angefangen: „Ein Glas Wasser?“

Ich: „Nein, danke.“

Fräulein B macht weiter mit der Maschine. Plötzlich: „Soll ich hinten gerade oder anpassen?“

Ich: „Ich…“

Fräulein B: „Einfach, dass es gut aussieht?“

Ich: „Ja, genau.“

Fräulein B legt die Maschine beiseite. Greift zur Schere. Schnippelt. Und schnippelt. Und schnippelt. Manchmal schnippelt sie auch in der Luft. Das Geräusch wirkt irgendwie einschläfernd. Und macht mich nervös. Einschläfernd und nervösmachend – geht das überhaupt? Ich weiss doch nicht. Es spielt auch keine Rolle.

Ich versuche, die Härchen von meinen Augen zu blinzeln. Ist gar nicht so einfach, wie man immer meint.

Fräulein B schnippelt und schnippelt. Ohne die Schere abzusetzen, fragt sie: „Darf ich das Gottlett aapasse?“

Ich: „Äh…ja.“

Fräulein B passt das Gottlett an.

Ich würde jetzt gerne noch ein bisschen im alten „Stern“ lesen. Aber der liegt ausserhalb meiner Reichweite vor dem Spiegel. Wenn ich mich vorbeuge, schneidet mir das Fräulein amänd in den Nacken. Oder dann haut sie eine Ecke aus der Frisur und braucht dann Stunden, um das Malheur zu korrigieren. Also: Kein „Stern“.

Fräulein B: „Chli Schlee?“

Ich: „Ou, nein, danke. Schlee ist so…“

Fräulein B: „…also lieber natüür.“

Ich schaffe es weder, den Juckreiz im Nacken zu unterdrücken, noch Justin Bieber zu überhören.

Fräulein B schnippelt natüür weiter.

Ich höre, wie Fräulein A zu einer Kundin, die seit drei Ewigkeiten mit pflotschnassen Haaren dasitzt, sagt, „dann machen wir jetzt die Brauen“, und denke: „Aha! Der gehts noch dreckiger. Die kommt hier nicht vor Mitternacht raus.“

Fräulein B: „Ist es gut so mit der Länge?“

Ich: „Wunderbar! Super!! Perfekt!!!“

Fräulein B schnippelt weiter.

Ich frage mich, wieso sie fragt, ob es gut sei mit der Länge, und dann weiterschnippelt, obwohl man doch gerade gesagt hat, es sei gut.

Fräulein B legt die Schere weg, kramt den Fön aus ihrem Schubladengefährt und bläst mir die Haare von der Haut.

Ich schöpfe neue Hoffnung. Vielleicht schaffe ich es morgen doch einigermassen pünktlich ins Büro.

Fräulein B: „So.“

Ich stehe auf.

Fräulein B geht zur Kasse. „Pflegespülung?“, fragt sie Fräulein A, die immer noch mit den Brauen der pflotschnassen Frau beschäftigt ist.

Fräulein A antwortet Unverständliches.

Ich: „Es hat jedenfalls geschäumt.“

Fräulein B lacht. „Macht 43 Franken. Haben Sie die Coopkarte?“

Ich: „Nein. 45.“

Fräulein B: „Danke!“

Ich: „Scho guet. E schöne Abe no!“

Fräulein B: „Uf Wiederluege.“

Ich haste mit meinen angepassten Gottletts auf den Bus. Auf der Fahrt in die Oberstadt denke ich wehdemütig an die Asiatin zurück, die in Melbourne für dieselbe Arbeit keine Viertelstunde benötigte und dafür erst noch nur die Hälfte verlangte.

Als der Bus auf dem Kronenplatz hält, steht mein Entschluss fest: Wenn schon wieder einmal Coiffeur, dann nur in Australien.

1 Kommentar

  1. Hervorragend. Selten so gelacht! Merssi!!!

    Aber wie kann man an so einem Ort zum Coiffeur gehen??? Gang doch mal in Bern. Allein in der Länggass gibt’s etwa 481 000. Da werden schon ein paar gute dabei sein. Und sonst verrate ich Dir meinen, wenns sein muss. Der ist übrigens auch in der Länggass.

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