Die Betreuungs-Industrie

68 Touristen – darunter 36 Schweizer – wurden beim Totentempel der Hatschepsut in Luxor am 17. November 1997 von arabischen Terroristen massakriert. Auf dem Flughafen Kloten versuchten Pfarrer und Psychologen, die Angehörigen und Freunde zu trösten, die vergeblich auf die Heimkehr ihrer Angehörigen warteten. „Careteam“ nannten die Medien die Helferinnen und Helfer, die sich tagelang um die Hinterbliebenen kümmerten.

In der Folge gab es keine Katastrophe (Absturz der SR111 vor Halifax, Anschläge vom 11. September, Attentat von Zug, Tod von Michael Jackson), nach der nicht umgehend eine Armee von Seelsorgern und Psychologen ausgerückt wäre, um sich um die Hinterbliebenen zu kümmern.

Bald galt: Wo ein Unglück ist, ist auch ein Careteam. Der Satz „…werden professionell betreut“ ist zum unverzichtbaren Bestandteil von Polizeimeldungen über Morde, Entführungen, Banküberfälle und Verkehrsunfälle mit mehr als einem Leichtverletzten geworden. Von der Lawine in den Bergen bis zur Salmonelle im Heim – wers überlebt, kann davon ausgehen: Sie werden geholfen.

Dank der Wirtschaftskrise ist die Carebranche längst nicht mehr von bewaffneten Irren, betrunkenen Verkehrsteilnehmern und dem Schicksal abgängig: Nach einer Massenentlassung stehen vor den Türe der soeben geschlossenen Firma nicht Berufsberater oder Jobvermittler, sondern Psycho- und Soziologen, um den Betroffenen die Gelegenheit zu geben, darüber zu reden.

Was momentan in Biel passiert, ist für die Carerinnen und Carer vermutlich ein Freudenfest wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen – zumindest theoretisch: Seit Mittwoch sucht die Polizei einen bewaffneten Senior, der bei Bedarf auch auf Angehörige von Spezianeinheiten schiesst. Theoretisch ist also eine ganze Stadt betreuungsbedürftig. Nur: Für die Bielerinnen und Bieler bietet der Fall zwar rund um die Uhr Gesprächsstoff, aber offensichtlich keinen Anlass zur übertriebenen Sorge.

Entsprechend froh dürften die Gutmenschen vom Dienst gewesen sein, als am Freitagmorgen ein paar Bieler Kinder versehentlich zur Schule gingen, obwohl wegen des alten Mannes mit dem Gewehr gar kein Unterricht stattfand: die Kids wurden sofort betreut. Auf die Idee, die Kleinen einfach wieder nach Hause zu schicken, kam kein Mensch.

2 Kommentare

  1. Als meine Eltern sich vor ein paar Jahren ans Careteam wandten bekamen sie Hilfe…in Form einer A4 Seite, auf der die Psychologen und Psychiater der näheren Umgebung aufgelistet waren.  Etwas, was wohl jeder Durchschnitts-intelligenten auch mit einem Telefonbuch rausfinden würde.
    Sie waren Zeugen, wie in ihrem Restaurant ein junger Mann erschossen wurde.

    Irgendwie hält sich meine Begeisterung für diese Careteams seither in Grenzen.

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