Unter Freunden

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In der Sekunde, in der Stadionspeaker Dagobert Cahannes heute Nachmittag bekanntgab, wer den Schlussgang des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes in Burgdorf bestreiten wird, stürzte meine Frau in einen kleinen Gewissenskonflikt:

Einerseits hatte sie schon am Freitag zehn Franken darauf gewettet, dass der Festsieger Christian Stucki heissen würde.

Andrerseits sass in der Emmental-Arena direkt neben uns ein Mann, der ein grosses Interesse daran hatte, dass Chantal falsch liegen würde: Ein Onkel von Stuckis Finalwidersacher Matthias Sempach.

Chantal und ich lösten das „Problem“, indem wir uns darauf einigten, dass Stucki und Sempach den Titel nach allem, was sie an den zwei Wettkampftagen geboten hatten, beide mehr als verdient hätten.

Am Ende gewann – wie inzwischen wohl alle wissen – Matthias Sempach. Der erste, der ihm zu diesem Triumph gratulierte, war Christian Stucki. Standing ovations gabs für den neuen König nicht nur von seiner riesigen Fanschar; auch die Anhänger seines ärgsten  Rivalen und die zum Teil von sehr weit hergereisten Schwingerfreunde aus der ganzen Schweiz erwiesen dem Alchenstorfer stehend applaudierend die Ehre.

Was in diesen Minuten passierte, war die Essenz dessen, was das ESAF2013 in Burgdorf ausgemacht hat: Ungeahnte Stärke, Respekt vor dem Gegner, grenzenlose Freude an der Sache und die Entschlossenheit, mit entbehrungsreicher Hingabe auf ein Ziel hinzuarbeiten, das noch vor ein paar Jahren unerreichbar weit entfernt zu sein schien. Das charakterisierte nicht nur die aktiven Sportler und allen voran Matthias Sempach. Das demonstrierten auch die Stadt Burgdorf und mit ihr eine ganze Region.

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300 000 Menschen für ein ganzes Wochenende in eine 16 000-Einwohnerstadt zu locken und ihnen dann, wenn sie da sind, das Gefühl zu geben, sie alle seien hier vorübergehend zu Hause: Wer sich das vornimmt, braucht – nebst vielem anderem – eine Menge Selbstvertrauen und Glauben in den Goodwill seiner Mitmenschen.

Beides war im Fall „Burgdorf“ offensichtlich reichlich vorhanden.

Die Gäste bedankten sich für diese Bemühungen, indem sie sich durchs Band weg als solche benahmen. Ausschreitungen, die im Rahmen von Fussballspielen längst zum traurigen Alltag gehören, blieben aus. Tonnen von Abfall wurden von ihren Verursachern ohne zu murren entsorgt. Die Gärten vor den Häusern, an denen der Weg zur Arena vorbeiführte, sahen heute Sonntagabend noch genauso aus wie am Donnerstagmorgen.

Auf diese Weise wurden die Fremden aus Zürich, Chur, Lugano und Genf vielleicht nicht gleich zu Freunden. Aber zumindest zu Zeitgenossen, die man als Bewohner dieser wunderbaren Stadt jederzeit wieder bei sich willkommen heissen würde.

Das Eidgenössische Schwingfest 2013 hat alle bisherigen Dimensionen in finanzieller, logistischer, personeller, gastronomischer, sicherheitstechnischer und verkehrsmässiger Hinsicht gesprengt. Dass diese Entwicklung nicht allen Mitgliedern der in vielen Traditionen verwurzelten Hosenlupf-Familie behagt, ist verständlich. Und dass nicht jeder Burgdorfer und jede Burgdorferin Schreie des Entzückens ausstiess, als er und sie realisierte, dass Ende August eine Viertelmillion Menschen in ihre Stadt strömen wird, liegt auf der Hand.

Doch die Art und Weise, wie sich die Sportler mit den für sie neuen Begebenheiten arrangierten, und die sich von Haus zu Haus verbreitende Bereitschaft der  Einwohnerinnen und Einwohner, auch dann etwas zu einem perfekten Gelingen dieses Mega-Evenents beizutragen, wenn einem Veranstaltungen dieser Übergrössenordnung zutiefst suspekt sind:

Das verdient mindestens ebensoviel Respekt wie der Königstitel von Matthias Sempach.

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