Couple Dänemark (III)

Jeden Sommer einmal setzten sich die massgebenden Leute aus der Politik, der Wirtschaft, der Kultur und der Kirche im norddeutschen Husum zusammen, um darüber zu orakeln, welcher Jahrgang wohl die tollsten Lebensaussichten habe. Diese Diskussionen dauerten oft bis weit in die Nacht hinein, doch nicht jedes Ergebnis erwies sich als Volltreffer.

Der Präsident der Rotarier zum Beispiel hatte einst durch alle Böden hindurch auf 1939 gesetzt. Sechs Jahre später wurde er zum stellvertretenden Vizesekretär degradiert. Kurz darauf kehrte der ausgezeichnete Schwimmer eines Nachts nicht mehr vom Baden in der Nordsee zurück.

Seine Frau gab eine Vermisstmeldung auf, und schon drei Tage danach schlenderte ein zweiköpfiger Suchtrupp zum Strand. Dort fanden die Männer die Kleider des Verschollenen fein säuberlich gefaltet und aufeinandergeschichtet. Daneben flatterte, von einem Stein beschwert, ein Zettel im Wind. Darauf stand: „Gar mancher kann sich irren, aber nicht jeder so gründlich wie ich mich mit diesem Scheiss 1939. Machts gut, ihr Lieben, und wisset: Es wird das Jahr kommen, in dem die Debatten über die besten Zukunftsperspektiven für immerdar verstummen, weil schlicht kein besseres nachfolgen wird. Euer Helge. PS: Ich ahne, dass es unter euch einige wenige geben dürfte, die mir diese Vorhersage aufgrund einer gewissen früheren Prophezeihung nicht vorbehaltlos glauben. Ihnen rufe ich, bevor  ich das eiskalte Wasser nun meine Zehen und dann alles andere benetzen lasse, ein fröhliches ‚Ist mir doch egal; ätsch!‘ zu.“

Dem für immer Abgetauchten widerfuhr späte Genugtuung: 1964 fand die letzte Sitzung des noblen Komitees statt. Einstimmig entschieden die elf Weisen, dass 1965 der für alle Zeiten unschlagbare Obermegasuperduperjahrgang werden würde. Und so kam es dann auch. Ein Korb mit der Nummer 65 symbolisiert im Sand vor Husum noch heute, mit welcher Weitsicht die Altvorderen weiland agierten.

Und damit noch kurz zu den Fakten: Nach einer mehrstündigen Fahrt an Bremen und Hamburg vorbei parkierten wir unseren Camper gegen Abend bei strahlendem Sonnenschein auf der Ferienanlage Regenbogen in, eben, Husum. Abgesehen von uns sind nur noch wenige Touristen hier. Die Sommersaison ist offenkundig passé, wie der Norddeutsche sagt. Unser Gefährt steht am Fuss eines Damms. Auf der anderen Seite  weiden riesige Schafe. Direkt am Meer, auf einer grossen Hundespielwiese, hängen die „Windhosen“ der Künstlerin Julia Bornefeld.

Jetzt, um kurz vor 20 Uhr, sitzen wir in T-Shirts vor unserem Camper. In den Bäumen meckern Krähen, über dem Ozean schreien Möven. Morgen um 5, sagte unser Nachbar („Ich habe mit 15 Jahren schon gejagt, aber kein Wild“) kurz nach unserer Ankunft, würden wir vom Blöken der Schafe geweckt werden. Anschliessend wandeln wir in der Stadt auf den Spuren von Theodor Storm und machen es uns chly am Strand gemütlich. Dann fahren wir weiter.

Das alles sind zweifellos nicht nur prächtige Aussichten für den Reisenden mit Jahrgang 1965, sondern auch für seinen Schatz (1982) und deren Hund (2015).

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