Das Kreuz mit der Box

Montag, 15. Oktober 2012, 13.20 Uhr: Dann werde man sich halt „von der Zentrale aus“ um das Problem kümmern, sagte der Hotline-Mann von der Swisscom soeben. Die letzte halbe Stunde hatte ich damit verbracht, mit ihm im Ohr die TV-Box plus den Router je einmal total zu resetten. Die Bemühungen waren umsonst: Der Fernseher ist immer noch tot. Mehr als ein rotes Kreuz und drei graue Viereggli gibts seit heute Morgen nicht mehr zu sehen.

Jetzt schauen wir einfach mal, was „die Zentrale“ so macht, und innert welcher Frist.

Fortsetzung folgt.

15.10 Uhr: Das geht ja flott: Nur noch zwei Viereggli.

19.50 Uhr: Das rote Kreuz ist immer noch da. Mit drei Viereggli.

Was verpasse ich alles?

– Eine Mankell-Verfilmung (schon gesehen),
– „Jagd auf „Roter Oktober“ (schon gesehen),
– zwei Folgen „C.S.I.“ (wahrscheinlich schon gesehen),
– zwei Folgen „Simpsons „(ziemlich sicher schon gesehen) und
– „Das Wetter in Baden-Württemberg“.

Gut, habe ich mir neue Bücher aufs Eipäd geladen: „Die Frau an seiner Seite“ von Heribert Schwan, „Mordmethoden“ von Mark Benecke und „Recht und Gerechtigkeit“ von Jörg und Miriam Kachelmann (und das, obwohl Kachelmann mit seinem subsouveränen Auftritt bei Günther Jauch in meinem persönlichen Rating schwer Punkte eingebüsst hat. Aber ich gehe jetzt einfach einmal davon aus, dass ihn diese Rückstufung im Moment nicht übertrieben stark beschäftigt).

Literarisch dermassen hochgerüstet, hoffe ich die Zeit, in der „die Zentrale“ von Ferne in den Innereien meiner TV-Box herumfummelt, überbrücken zu können. Falls ich alles fertiggelesen haben sollte, bevor die Swisscom das Chäschtli geflickt hat, kann ich immer noch ein Buch schreiben oder Japanisch lernen, bis die Kiste wieder läuft.

Dienstag, 16. Oktober, 4.20 Uhr: In der Nacht, ohne Spiegelungen, sehen das Kreuz und die Viereggli besser aus als am Tag. In der Zwischenzeit habe ich feststellen müssen, dass der Hotline-Mann gestern chli geflunkert hatte. Als ich ihn fragte, ob das öppedie vorkomme, so drei Viereggli mit einem Kreuz, sagte er mir ins Gesicht iPhone, nein das sei ist jetzt das erste Mal. Doch was muss ich beim Blick in eine Fernsehflick-Selbsthilfegruppe sehen: Soooo selten ist das gar nicht.

Andrerseits: Wenn ich der Hotline-Mann wäre, würde ich einem Kunden vermutlich auch nicht graduse sagen: „Jessesgott, Sie. Sie glauben ja nicht, wie das immer leuchtet, wenn unser System nicht funktioniert! Am besten ist es, wenn es am Weihnachtsabend aussteigt. Dann können sie sich den Christbaum schenken, so wie das blinkt.“

Um auf andere Gedanken zu kommen, gehe ich ins Büro. Gegen Mittag bin ich zurück. Bis dann ist die Box repariert, sonst…sonst…sonst… .

11.48 Uhr: Wer statt fern nur ein Kreuz und Viereggli sieht, hat viel Zeit zum Überlegen. Ich habe sie genutzt, um eine Verschwörung aufzudecken (aufzudecken im Sinne von „enthüllen“ gabs zwar nichts. Es lag für alle sichtbar auf dem Boden. Es brauchte nur jemanden, ders aufhebt). Und zwar: Carsten Schloter, der Swisscom-Chef, ist Deutscher. Der Hotliner, mit dem ich vor 248 Jahren gestern telefonierte, ist ebenfalls Deutscher. Das heisst: Die Swisscom ist in deutscher Hand. Es ist folglich nur eine Frage der Zeit, bis Schloter und der Hotliner unser Paradeunternehmen in die deutsche Telekom integrieren. Die Telekom wiederum gehört vermutlich zu einem nicht kleinen Teil der deutschen Regierung. Damit ist absehbar: Deutschland übernimmt den Schweizer Telefonmarkt. Und sobald Angela Merkel die Schweizer Kommunikationsstränge in der Hand hält, kann sie schwupp realisieren, was noch vor 80 Jahren gescheitert war.

Ein unfriendly Takeover der Schweiz wäre jedoch nichts im Vergleich zu dem, was Peter Gutjahr aus Effretikon prophezeit (für jene, denen Peter Gutjahr kein Begriff ist: Er studiert die Astro-Realität). In dieser Funktion schreibt er ausgewählten Redaktionen: „Entfernen Sie mich sofort aus Ihrem E-Mail-Verteiler und senden Sie mir niemals mehr eine E-Mail. Beten Sie weiter Ihren Urknall-Satan an, und werden Sie glücklich dabei. Sorgen Sie dafür, dass ich von der ETH-ZH, von der UNI-ZH, vom CERN und vom PSI, niemals oder niemals wieder angeschrieben werde. Die resultierende Kausal-Weltbild-Global-Realität aus dem Urknall ist physikalisch so unmöglich wie der Urknall. Sie können Richtung Fixstern Sonne und Richtung Alter-Grösse-Universum ein wenig an den Zahlen-Werten schräublen, in der Global-Realität können Sie dann das Kausal-Realität-Wissen des Schräublens ablesen. Die Verkündung des Geschräubleten können Sie den Holocaust-Juden-Sekte Astro-Koryphäen, Realität-Koryphäen und Physik-Koryphäen übertragen, so wie vorgesehen, und seit Jahrzehnten Sekten-Realität. Wo die Wahrheit zerstört ist, ist immer Satan, und das ist nur ein Begriff wie tausende andere.“

„Die Verkündung des Geschräubelten“: Es wird einem Angst und Bange.

Aber – und damit zurück zur Swisscom -: Zum Schräubeln wärs, Realität-Koryphäen hin, Physik-Koryphäen her, jetzt dann langsam Zeit.

14.50 Uhr: Anruf bei der Swisscom. Ein aufgestellter Bündner nimmt nach dem zweiten Läuten ab, hört sich die Geschichte an und sagt dann sinngemäss „Ah. Oh. Hm. Moment“. Im Hintergrund ist Tastaturklicken zu hören. Dann sagt er: „Es kommt jemand vorbei. Morgen um Drei.“

Damit geben wir kurz ins Studio für ein bisschen Musik:

Mittwoch, 17. Oktober, 14.21 Uhr: Die Spannung steigt. Ich sitze hoffnungsfroh zuhause und schaue alle paar Minuten aus dem Fenster. Kommt der Monteur? Kommt er nicht? Wie lange ist er schon im Geschäft? Schickt mir die Swisscom einen Profi mit jahrzehntelanger Boxflickerfahrung vorbei? Oder steht gleich ein Erstlehrjahrsstift vor der Türe, der nur aus Erzählungen seiner Eltern weiss, was ein Fernseher ist?

Wenn ich nicht schon rauchen würde – jetzt wäre ein guter Moment, um damit anzufangen.

Gemessen an den Klicks (gut 250 seit vorgestern) und der erschütternd geringen Anzahl Kommentare (nur auf Facebook fühlte sich jemand , den ich ideologisch jetzt einfach mal in der waldorfschulgestählten Gutmenschenfraktion verorte, bemüssigt, mir von der Seite her anzubieten, sich einmal mit mir über mein Suchtverhalten zu unterhalten, was ich über alle Massen schätze, besonders in Situationen, in denen ich so verletzlich bin wie in diesen, wenn der Fernseher streikt) gehe ich nicht davon aus, dass das Drama um unsere kaputte Box die Welt erschüttert hat.

Trotzdem will ich den treuen Leserinnen und Lesern, die von Anfang an dabei waren und offensichtlich finster entschlossen sind, bis um letzten Punkt durchzuhalten, nicht vorenthalten, welch Happy End die Geschichte soeben nahm. Weil die Sache textmässig sowieso schon leicht überbordet (Monstersätze wie den, aus dem der letzte Abschnitt besteht, passieren mir sonst eher nie), fasse ich mich kurz.

15.16 Uhr: Der Monteur ist da. Das ist chli später als gestern vom flotten Bündner versprochen, aber was solls. Wenn ich Cablecom-Kunde wäre, hätte ich zwischen den ersten Notruf an die Hotline und das „Dankeschön“ für den Mechaniker locker die Australienferien schieben können.

15.20 Uhr: Der Monteur montiert nach einem kurzen Smalltalk gigantische Swisscom-Filzpantoffeln und betritt die Wohnung.

15.23 Uhr: Er kontrolliert das Internet und die Kabel und alles.

15.26 Uhr: Auswechseln der Box.

15.30 – 15.43 Uhr: Nichts passiert. Leise Beunruhigung auf Seiten des Kunden.

15.44 Uhr: Der Monteur ruft in der Zentrale an. Viele „Ah“ und „Hm“ und „Klar“ und „Gut“.

15.50 Uhr: Blaurote Lebenszeichen auf dem Bildschirm

15.54 Uhr: Der Fernseher ist wieder wie neu!!!

16.06 Uhr: Der Monteur verabschiedet sich. Die Pantoffeln nimmt er mit. Schade: Ich wäre in ihnen gerne mal Kanu gefahren.

16.10 Uhr: Blick ins TV-Programm. Nichts Gescheites in Sicht.

16.11 Uhr: Griff zum iPad. Antippen des Kachelmann-Buches.

16.15 Uhr: Erkenntnis: Das Buch ist Schrott.

16.16 Uhr: Käfele im Garten.

Zur Feier des Tages:

5 Kommentare

  1. Super Idee Häni, wir können auch gleich die Glasfaserleitung zu Burgdorf kappen, dann kommt Hannes nicht auf die Gedanken beim Nachbarn fern zu gehen. Bin auch dafür das wir so langsam wieder das Hannessche Schreibmaschinengeräusch vernehmen!!!!

  2. Hannes – in dieser Zeit hättest du locker den nächsten Bestseller geschrieben! Ich werde mal mit Swisscom schauen, dass das Kreuz und die Viereggli bei dir schleunigst auf der Scheibe wieder auftauchen und du deine Schreibkünste in Form eines sehr und auch überaus spannenden Krimis auslebst. Die von der Hotline haben ja gar keine Idee davon wie viel wertvolle Talentzeit sie da ans „Bord“ werfen.
    Und jetzt Hopp an die Schreibmaschine! (du hast ja bestimmt schon das passende Retro App)

  3. Ich schliesse mich der Gusinefreundin an. Trotz Waldorfschulgutmenschfraktionszuordnung hätte ich gerne die Grenzen des Hannesschen Geduld noch etwas ausgelotet und damit auch meine sadistische Ader wieder einmal etwas stärker betont. Henu, de haut!

  4. Also ich finde es schon ein bitzeli schade, dass die Swisscom dein Problem so speditiv behoben hat.

  5. …….das Adlerhorst linkt seit Jahren schon direkt mit dem Himmel, und hat sich losgelöst (11.Stock- das kräscht!) von TV/Top/Flop-Zwangs-Boxen. Das Telefon ist via schweizer Kleinstanbieter überlastungs/störungsfrei- und auch das Internett kommt ohne Teutonenbevormundung aus…
    Und wenns emal fescht, fescht schneit (draussen, wie auf dem Tiivii), dann gibts gscheiters wie fernsehgucken.
    Aber wir bleiben am Ball- hoffen doch, das Viereggli und das Viereggli und das Viereggli und das Chrüzli verschwinden, dafür ein HD-fähiges Pixelbild erscheint und ihr könnt wieder gucken, bis es auf die Bones geht..

    PS: Als der https://www.bluesler.ch/happy-landing war, wurde es einen Augenblick dunkel im Wohnzimmer 😉

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