Der Appetit ist vegangen

An den Anfang unserer neuerlichen Reflexionen über der Welten Lauf stellen wir zwei Bilder. Sie entstanden am selben Ort (in Zürich) am selben Anlass (an der Gourmesse) innerthalb einer halben Stunde – und doch: Wer genau hinsieht, merkt amänd, dass sie nicht ganz identisch sind.

Das eine Foto knispte ich im Reservat der Veganer, das andere entstand im Paradies der Karnivoren, und der Sinn dieser Sache war…

…ja, liebe Leserinnen und Leser: Was war er wohl, der Sinn der Sache? Ist das nicht immer die Frage? Und was, wenn doch?

Jedenfalls: Abgesehen davon, dass ich nie verstehen werde können (und schon gar nie verstehen werde wollen), wie man mit einem Löffel aus politisch korrekt gerodetem Kunstholz Weizenkeime in sich hineinschaufeln kann, während draussen, in Schussnähe, Kühe muhen, Schafe grasen, Hühner gackern, Schweine grunzen und Rehe…äh…herzig gucken, und ungeachtet dessen, dass es mich längst nicht mehr wundert, wenn eine Grossfamilie (Papi mit schickem Hipsterbärtli, Mami ungeschminkt, die Kinder ein Fall für die Jugendanwaltschaft) im Restaurant kollektiv schnappatmet, sobald der Herr am Tisch nebenan den Cordonbleu-Fitnessteller mit ohne Gemüse bestellt, und jetzt einfach einmal ignorierend, dass mir alles Missionarische und Besserwisserische so was von endkrass auf den Sack geht, habe ich nichts gegen Veganerinnen und Veganer; wirklich nicht.

Genauso wie, sagen wir: Mathematiklehrer, Kellerasseln oder Xavier Naidoo haben auch sie ihre Daseinsberechtigung, und weil spätestens seit Neinileven Toleranz das Gebot der Stunde ist und in Memoriam des grossen chinesischen Feldherrn Siddharta, der nach seinem Motto „Wenn du deinen Feind besiegen willst, musst du ihn kennen“ monatelang undercover in einer Punk-WG hauste, bevor er in die punischen Kriege zog, beschloss ich während meines Gourmessebummels spontan, diesem mir fremden Volk einen Besuch abzustatten.

A propos „endkrass“: Im Zürcher Hauptbahnhof steht eine Installation eine Skulptur ein Kunstwerk eine Sache, die fast tupfgenau gleich aussieht wie die, in der Adele auf ihrer letzten Welttournee „Set fire to the rain“ sang.

Zum Vergleich: Das

ist die Sache von Adele

und das

die im HB.

Am 17. und 18. Mai trat Adele im Hallenstadion auf, und ein halbes Jahr später haben sie im Stadtzentrum fliessend Wasser. Wenn etwas erstaunlich ist, dann ja wohl das.

Aus aktuellem Anlass schalten wir kurz in die Musikredaktion:

Wunderschön, isn’t it (das Video entstand auf Adeles 2011er-Tour; damals liess sies noch nicht indoor regnen)?

Und live, vor Ort, wars im Fall noch mindestens hundertmal beeindruckender; dies nur als Zusatzinformation für jene Leute, welche es aus unerfindlichen Gründen nicht geschafft hatten, sich ein Ticket zu ergattern.

Ich weiss nicht, wieso die Verantwortlichen der Gourmesse für die Veganer eine Sonderschau eingerichtet haben, statt sie in das umliegende Schlaraffenland mit seinen sich schier endlos hinziehenden Fleisch- und Fisch- und Käsebergen einzubetten und ihnen damit zumindest das Gefühl zu geben, chli dazuzugehören. Genauso, wie die Indianer in Amerika und die N Dunkelhäutigen Eingeborenen indigenen Menschen in Südafrika leben die Apostel einer leichenteilefreien Ernährung im Kongresshaus etwas abseits des grossen Trubels, doch als ich ihr Reich zögerlichen Schrittes und noch an einem Rest Toscanasalami herumkauend betrat, hatte ich nicht das Gefühl, dass ihnen das übertrieben viel ausmachen würde; ganz im Gegenteil. Sie dürften wissen, dass der Outsiderstatus ihrem Vordenkerimage kaum schadet.

Auf der Website der Messemacher hatten die Veganer „kreative, gesunde und nachhaltige Genussmomente“ versprochen, und „Inspiration für neue Akzente in Ihrem Speiseplan“. Auch offline priesen sie diesen „Lebensstil, der nicht nur zahllose gesundheitliche Vorteile mit sich bringt, sondern auch den Welthunger mildert und Tierleid nach dem Prinzip ‚Jedes Essen zählt‘ minimiert“ aus allen Rohren.

Dass für die unzähligen Faltprospekte, in denen diese Botschaften verkündet werden, zig Bäume geschlachtet werden mussten, ist für die Ernährungsapostel offenbar ein hinnehmbarer Kollateralschaden, der keiner Erwähnung bedarf.

Ebenfalls nicht sehr offensiv kommuniziert wird auch der Umstand, dass es sich bei veganen Fertiglebensmitteln oft gar nicht um naturreine Produkte handelt, wie die „Huffington Post“ unter dem Titel „Der vegane Selbstbetrug“ aufgedeckt hat. Mit chemischen Zusätzen wie Geschmacksverstärkern, Aromen, Verdickungsmitteln und Konservierungsstoffen werden manche Rohstoffe solange frisiert, bis sie die gewünschte Konsistenz und einen möglichst kundenkompatiblen Geschmack haben.

Überhaupt: Je länger ich durch das Veganerland schlurfte, desto mehr Widersprüche fielen mir auf. Einerseits konnten sich die Aussteller nicht über mangelndes Publikumsinteresse beklagen. Andrerseits hielt sich die Bereitschaft, Weizenburger, Gemüsesüppchen, Kräuterhäppchen und Artverwandtes zu degustieren, in Grenzen. Wie in jedem anständigen Tabledance-Schuppens schien für die Gäste auch hier die Devise zu gelten: „You look – but not touch“.

Zur Grundausstattung des typischen Veganers gehört – auch das lernte ich auf der Gourmesse – eine Plasticflasche mit einem dunkelgrünen oder orangen Smoothie drin. Die trägt er für alle sichtbar auf sich, wo auch immer er steht und geht, und wenn er daran nippt, tut er das im offensichtlichen Bewusstsein darum, sich in diesem Moment an einer frisch vom Busen von Mutter Natur gezapften Köstlichkeit laben zu dürfen.

Beim Verlassen der Sonderschau stellte ich zu meiner eigenen Überraschung fest, dass mein Magen kein bisschen mehr knurrte. Mir war weder nach griechischen noch nach iberischen noch nach italienischen noch nach Bündner Spezialitäten noch nach Dry aged Beef noch nach Sushi noch nach Pralinen und schon gar nicht nach Sprossen im Glas. Dafür brummte ob all der neugewonnenen Eindrücke mein Kopf: Ich fragte mich, was es wohl brauchen würde, um mich zum Veganer zu machen.

Falls sämtliche essbaren Tiere von heute auf morgen ausstürben und mir der Arzt gleichzeitig dringendst empfehlen würde, 90 Kilo abzunehmen: Dann könnte ich irgendwann, in einer hoffentlich noch unabsehbar weit entfernten Zukunft, vielleicht damit beginnen, zu erwägen, mir nur total hypothetisch vorzustellen zu versuchen, den Gedanken daran zumindest nicht zu verdrängen.

Nachtrag 10. Oktober 2016: Kaum war dieser Beitrag online, meldeten sich Kritikerinnen und Kritiker zu Wort. Die (selbstredend anonyme; ich schreibe ja auch unter einem Pseudonym) Fanpost habe ich hier zusammgengefasst.

2 Kommentare

  1. Die Veganer mögen ihre Fehler haben. Besser als eine ausbeuterische Massentierhaltung ist Veganismus allemal.

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