Der Charme des Verstaubten als Reiz des Neuen

Unknown

Auf musikalischen Grundierungen aus dem letzten Jahrhundert ganz neue Klang- und Wortbilder zu malen: Das erfordert nicht nur einiges an Mut und Selbstvertrauen; wer das tut, muss auch wissen (oder zumindest ahnen), dass sein Publikum bereit ist, bekannte – und langsam chli ausgetretene? – Pfade zu verlassen und ihm an Orte zu folgen, die es noch nicht kennt.

Christian Häni, der Gründer, Sänger, Texter, Komponist und Produzent der Halunke, setzt mit „Gramophon“, der dritten CD der Berner Band, auf die Karte „Zurück in die Zukunft“. Soviel Jazz und Swing gabs auf einem Schweizer Mundartalbum noch nie, und das wohl aus gutem Grund: Das Risiko, mit Bläsern und Streichern eine Zielgruppe zu verunsichern, die sich schon beim Klang einer echten elektrischen Gitarre fragt, was zum Teufel das sei, ist gross.

Häni  schrieb für „Grammophon“ sämtliche Songs und spielte fast alle Instrumente im Alleingang ein. Am Ende hat er die CD auch noch produziert. Um den Vertrieb, die Werbung und Konzertbuchungen kümmert sich seine Frau Anja, die auch den Onewoman-Backgroundchor bildet.

Von einer „Band“ im eigentlichen Sinne kann bei den Halunke also kaum noch die Rede sein. „Grammophon“ ist von A bis Z Hänis Werk, was schon auf der Hülle ersichtlich ist: Sie zeigt einen Mann, dessen Kopf überquillt vor klangerzeugenden Gerätschaften aller Art.

An der Kurbel am rechten Ohr dreht zweifellos eine unsichtbare Muse, und zwar an 24 Stunden am Tag, und in der Nacht auch noch, an sieben Tagen pro Woche und an sämtlichen Wochen des Jahres. Nach  den Anstrengungen der letzten Monate sieht sie inzwischen vielleicht chli verhürschet aus; deshalb mochte sie wohl nicht mit aufs Bild.

Doch auch wenn die Halunke inzwischen zum Familienbetrieb mutiert sind – auf der Bühne stehen und sitzen, neben Häni, nach wie vor Simon Rupp an den Gitarren, Marco Mazzotti an den Bässen und Christian Berger an den Drums. Zur Plattentaufe in der Mühle Hunziken werden zusätzlich noch Bläser und ein Pianist mit von der Partie sein, damit die CD live möglichst ähnlich klingt wie zuhause im Player.

„Souerei“, das erste Album der Halunke, war übermütig. „Houston we are ok“, die Nachfolge-CD war ebenso originell, wirkte aber deutlich ernsthafter. „Grammophon“ ist manchmal witzig und oft tiefsinnig und kommt, übers Ganze gehört, um einiges reifer daher als seine Vorgänger. Zwischen den Zeilen blitzt jedoch nach wie vor viel Schalk auf, und seine Leidenschaft fürs Beobachten und Notieren von Alltagsmenschen und -situationen hat Häni nicht verloren; ganz im Gegenteil.

Aber Häni textet nicht mehr „nur“ auf Pointen hin, sondern erzählt (wie zum Beispiel im vorab veröffentlichten „Guatemala“) Geschichten, die auch so funktionieren würden; ohne Musik. Aus der Ferne grüsst weiterhin Mani Matter, aber nur noch hin und wieder und nicht mehr so oft wie auf „Souerei“ und „Houston“. Häni hat sich von seinem grossen Vorbild emanzipiert und geht nun eigene Wege, ohne den Übervater ganz aus den Augen zu lassen.

Musikalisch ist „Grammophon“ schwer einzuordnen (aber: es braucht ja auch nicht immer alles eingeordnet zu sein). Christian Häni bedient sich ungeniert bei zeitlosen Grössen aus der Vergangenheit, um auf seine eigenen Melodien und Harmonien eine Art Kunststaub zu legen. Rund 200 prominente und weniger bekannte Künstler aus längst vergangenen Epochen geben sich auf „Grammophon“ gemäss Pressetext ein virtuelles Stelldichein.

Ihre Beiträge überziehen das aktuelle Werk aus der Halunke-Schmiede mit einer Patina, die ihre Reize hat. Und die ein mehrmaliges Durchhören fast zwingend erfordert; die vielen Samples und Mixturen dürften ein wenig gewöhnungsbedürftig sein – vor allem für jenen Teil der „Kundschaft“, dem Namen wie „Glenn Miller“ oder „Adriano Celentano“ nichts oder nur wenig sagen.

Wer sich die Zeit nimmt, sich „Grammophon“ mehrmals anzuhören und wer bereit ist, das jüngste Gemüse auf dem weiten Feld des Berner Mundartschaffens vorurteilslos („Swing? Das ist doch mehr etwas für Scheintote.“) zu probieren, wird erfreut feststellen, dass es sich dabei um etwas in diesen Gefilden noch nie Dagewesenes handelt, das auch den eigenen geschmacklichen Horizont um den einen und anderen Meter nach links und rechts erweitert.

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