Der Mann mit neun Leben

Irgendwie geht mir der Mann nicht aus dem Kopf. Als wir neulich drei Tage bei Chantals Cousine Nathalie in Brunswick Heads bei Byron Bay verbrachten, lernten wir Dean Cook kennen. Er lebt mit Nathalie zusammen. Ganz freiwillig tut er das nicht: Als ehemalige Krankenschwester kümmert sie sich hauptberuflich um ihn.

Dean Cooks grosse Leidenschaft war ist das Surfen. Eine Zeitlang verdiente er seinen Lebensunterhalt mit dem Fotografieren und Filmen von Wellenreitern an der australischen Ostküste. Noch lieber stand er jedoch selber auf dem Brett.

Wahrscheinlich dachte er sich nicht viel dabei, als er eines Tages von seinem Board in den Ozean fiel. Doch was wie ein Routinemalheur aussah, endete in einem Drama: Während er unter Wasser lag, wurde er von einem anderen Surfer überfahren. Das Schwert am Brett des Kollegen schlitzte ihm den Bauch auf.

Nach der Notoperation musste Cook – wie schon früher, bei seinem erfolgreichen Kampf gegen den Hautkrebs – Unmengen von Medikamenten schlucken. Der ohnehin schon schwer malträtierte Körper kapitulierte: „Kookie“, wie ihn hier alle nennen, erlitt einen Schlaganfall. Wochenlang lag er im Koma. Kaum war er daraus erwacht, brachte er sich das Sprechen neu bei.

Nun sucht Dean Cook einen Weg zurück in die Normalität. Er geht in die nahegelegenen Shops einkaufen, kocht, redet ununterbrochen mit Freunden, Wildfremden oder, wenn gerade niemand im Haus ist, sich selber, guckt stundenlang Surffilme und freut sich über die Besuche seines Sohnes; voller Vaterstolz zeigte er uns eine Zeitung mit dem 14jährigen Profi-Skater auf der Titelseite.

Cooks einziges Ziel ist es, so bald wie möglich wieder auf dem Surfbrett zu stehen. Daran, dass ihm das gelingt, hat er keine Zweifel. Diese Zuversicht kommt nicht von ungefähr: Wer dem Tod schon so oft von der Schippe gesprungen ist wie „Kookie“, stellt sich unmöglich scheinenden Herausforderungen wohl mit einem ganz anderen Selbstverstrauen als jemand, dem immer alles in den Schoss gefallen ist.

Ihm seien neun Leben geschenkt worden, sagte Cook bei einem Kaffee in Nathalies Küche. Nach all den Krankheiten und Unfällen müsse er allerdings davon ausgehen, dass der Vorrat erschöpft sei.

Das eine Leben, das ihm noch bleibt, will er keinesfalls als hilfsbedürftiger Patient verbringen, der fast rund um die Uhr Pillen benötigt, um einigermassen zu funktionieren. Sondern als selbstständiger und eigenverantwortlicher Mensch; draussen, auf dem Meer.

Mit nichts als dem Brett unter den Füssen und der Freiheit im Herzen.

Nachtrag 23. Dezember 2012: Dean Cook ist verschwunden. Er wird von der Polizei gesucht.

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