Die Hoffnung stirbt zuletzt

telefon

Die Teilnehmer des „Perfekten Dinners“ kämpfen sich, obwohl bereits pappsatt, gerade durch ein üppiges Dessert mit Mangoscheiben und Himbeersaft, als mir mein Telefon signalisiert, dass ein anonymer Anrufer mich zu sprechen geruhe.

Seit Tagen schon alleine zuhause und dem kommunikativen Austrocknen deshalb beängstigend nahe, beschliesse ich entgegen meinen Gewohnheiten und trotz der unterdrückten Nummer, das Gespräch anzunehmen. Kaum habe ich meinen Namen gesagt, begehrt ein Herr deutscher Zunge zu wissen, ob ich mir im Klaren darüber sei, dass ich bei meinen Krankenkassenprämien mehrere! hundert!! Franken!!! pro Jahr!!!! sparen könne, wenn ich ihm kurz zuhören würde; er habe mir diesbezüglich wirklich Wichtiges mitzuteilen.

Weil ich aus nichts heraus eine fast kindische Lust darauf verspüre, mal wieder jemanden ein bisschen zu plagen, sage ich zu dem Herrn, das sei jetzt aber ein Zufall; vor wenigen Tagen erst hätte ich mir überlegt, ob es krankenkassenmässig nicht amänd noch günstigere Varianten gebe, sei aber noch nicht dazugekommen, Offerten einzuholen, und, klar, sehr interessiert daran, zu hören, was er zu bieten habe.

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Hörbar erfreut darüber, vermutlich zum ersten Mal heute seit Wochen mit jemandem länger als zwei Sekunden reden zu können, fragt mich der Mann als Erstes, ob es mir wohl möglich sei, ebenfalls Hochdeutsch zu sprechen, worauf ich auf Mundart erwidere, das könnte ich vielleicht schon, aber wenn er in der Schweiz einen Schweizer anrufe, müsse er halt schon damit rechnen, dass der Angerufene Schweizerdeutsch rede, was der Krankenkassenprämiendrücker mit einem, wie mir scheint, etwas gekünstelt wirkenden Lachen quittiert.

In der Folge nenne ich ihm bereitwillig meine wichtigsten Eckdaten – „32. Technischer Zeichner. Geschieden. Zwei Kinder. Nein, bei der Mutter.“ – damit er sich, wie er sagte, „ein Bild von Ihrer Situation“ machen kann.

Nachdem das geklärt ist, beginnt er, all die Vorteile aufzuzählen, von denen ich bei einem Wechsel zu einem seiner Superdupersparmodelle profitieren könnte. Ich nutze die Gelegenheit, um mich endlich um mein Nachtessen zu kümmern. Das iPhone auf laut gestellt, wärme ich eine Gemüsesuppe auf, pfupfe ich Mineral ins Wasser und räume ich die Abwaschmaschine aus. An strategisch wichtigen Stellen werfe ich ein „Oh!“ ein oder ein „Aha…“ oder ein „Phuu“ oder ein „Ehrlich?“ oder auch nur ein „Hm“.

Von soviel Aufmerksamkeit ermutigt, plappert er weiter, wobei ich mir vorstelle, wie er vom Bildschirm in seinem Callcenterbürocontainer ein Argument nach dem anderen abliest, ohne auch nur den Schatten eines Hauches einer Ahnung davon zu haben, worum es eigentlich geht. Morgen wird er Lose der Süddeutschen Klassenlotterie verkaufen und übermorgen Gesundheizdecken, aber heute hängt seine Zukunft an diesen Kassenprämien, und wenn er etwas genau weiss, dann das: Falls er am Ende seiner Zehnstundenschicht auch nur einen Vertrag – und zwar diesen hier – abgeschlossen hat, kann er sämtliche kommentarlos beendeten Gespräche, Verwünschungen und Demütigungen, die sich im Laufe des Tages zusammengeläppert hatten, vergessen.

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Strahlend würde er zuhause seine Frau in den Arm nehmen und sagen: „Schatz, ich habs ja immer gesagt: Es kommt gut!“ Dann macht das Paar es sich auf dem noch nicht restlos abbezahlten Ikeasofa bequem. Vor dem mit einem Kleinkredit finanzierten Grossfernseher geniessen die beiden den Abend in der Gewissheit, dem Häuschen am Waldrand ein Schrittchen näher gekommen zu sein. Irgendwann sinken sie müde, aber voller Zuversicht in das von seinem Schwiegervater vorfinanzierte Conforamabett.

Sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen gilt seinen zig Landsleuten, die sich neulich bitterlich darüber beklagt hatten, in der Schweiz nicht mit Pauken und Trompeten und einem roten Teppich willkommengeheissen worden zu sein, und die deshalb in Heerscharen wieder zurück nach Deutschland zügeln.

„Die haben ja keine Ahnung, wie man mit diesen Schweizern umgehen muss“, denkt er. „Wenn man weiss, wie man sie nehmen muss, fressen die einem wie dieser Hofmeier oder wie der hiess aus der Hand.“

Aber soweit ist es noch nicht. Im Moment hat er diesen Hofmeier, oder wie er heisst, zwar an der Angel, aber noch kann er sich nicht ganz sicher sein, dass Hofmeier so fest angebissen hat, dass er sich nicht mehr vom Haken lösen kann. Deshalb macht der Krankenkassenprämiensenker weiter und weiter mit seinen Zahlen und Beispielen und Vergleichen und Statistiken und allem.

Das „Perfekte Dinner“ ist längst zu Ende. Das Mangodessert kam bei den Gästen erwartungsgemäss nicht ganz so gut an, wie vom Gastgeber erhofft. Ich habe umgeschaltet auf einen gut abgehangenen „Tatort“ aus Stuttgart, was irgendwie ganz gut zu dem passt, was ich nebenher erledige. Das iPhone liegt, immer noch auf laut gestellt, vor mir auf dem Tischchen. Der Mann am anderen Ende der Leitung textet mich immer noch zu, und ich sage weiterhin „Oh“ und „Aha“ und „So, so“ und Ähnliches, wenn ich das Gefühl habe, es sei mal wieder an der Zeit, ein Lebenszeichen von mir zu geben.

In dem Moment, als Kommissar Bienzle seiner Hannelore ein Glas Orangensaft über die Schenkel schüttet, höre ich den Anrufer bestens gelaunt sagen, das sei jetzt alles für den Moment; ob er mir unverbindlich die Unterlagen schicken könne.

Nein, sage ich, und lege auf.

3 Kommentare

  1. Köstlich! Es macht schon Spass, die armen Jungs (und Mädels) zu veräppeln.

    Wenn ich Zeit und Lust habe, plaudere ich noch gerne mit denen – über alles – ausser über das, was sie mir andrehen wollen („Wo kommen Sie denn her?“ – „Ist der Job nicht etwas öde? Jeden Tag Leute anrufen, die dann total genervt sind?“).

    Die sind meistens hocherfreut – nur mein mangelndes Interesse an ihrem Produkt finden sie irgendwann störend … aber sie haben ja mich angerufen:-)

  2. Genial… Ich kanns kaum erwarten, bis mich der Herr auch anruft.

    (Und das Mangodessert hätte MEINEN geschmack auf jeden Fall getroffen.)

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