Die Hölle liegt gleich hinter dem Himmel

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Im Leben von Ulrich Ochsenbein (Hans Witschi) war nicht jeder Schuss ein Treffer. Mancher ging nach hinten los. Und einer tötete seine geliebte Frau. (Bilder: zvg)

Adolf Ogi, Samuel Schmid, Ruedi Minger, Rudolf Gnägi, Friedrich Wahlen…und…äh…: Wer die zwölf Berner aufzählen will, die seit der Gründung des Schweizer Bundesstaates 1848 in der Landesregierung sassen, gerät schnell einmal ins Stocken.

Der Name „Ulrich Ochsenbein“ zum Beispiel ist kaum noch jemandem ein Begriff. Dabei gilt er als „Gründer der modernen Schweiz“.

In der kulturfabrikbigla in Biglen zeichnet die Berner TheaterCompanie das Leben dieses Mannes nun nach. Er musste durch blutgetränkte Abgründe gehen, um höchste Gipfel zu erklimmen. Und stürzte, kaum auf dem politischen Zenith angelangt, zurück in die Hölle.

Visionär und Realist, Ehrgeizling und Träumer, Zauderer und Macher: Ulrich Ochsenbein vereinigte offenbar viele Charaktere in sich. Entsprechend schillernd verlief die Laufbahn des Mannes, der in Schwarzenegg im Berner Oberland am 11.11.1811 in ärmliche Verhältnisse geboren wurde: Nach dem Gymnasium und dem Jus-Studium eröffnete er mit einem Schwager eine Anwaltskanzlei in Nidau. Militärisch brachte er es bis zum Hauptmann im Generalstab.

1844 und 45 beteiligte er sich als Vordenker der radikalen Berner Regierung an den Freischarenzügen, mit denen die „Jesuitenregierung“ in Luzern gestürzt werden sollte. Beide Waffengänge scheiterten; bei den Attacken auf das geografische Herz der Schweiz liessen Dutzende von Bernern ihr Leben. Hunderte wurden verwundet. Die verheerende Niederlage im „Gefecht von Malters“ bedeutete das Ende von Ochsenbeins Militärlaufbahn.

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Trotzdem avancierte er in seiner Heimat zu einem Volkshelden. Ochsenbein wurde in den Grossen Rat und in den Regierungsrat gewählt. Als Präsident der Verfassungsrevisionskommission verwandelte er die vom Sonderbundskrieg gebeutelte Schweiz innert weniger Wochen in einen für Europa völlig neuartigen demokratischen Bundesstaat.

1848 durfte sich der Seeländer als einer der ersten sieben Bundesräte feiern lassen. Sieben Jahre später verzichtete die Vereinigte Bundesversammlung darauf, ihn im Amt zu bestätigen. Ochsenbein schloss sich der französischen Armee an und kommandierte eine Zeitlang die Fremdenlegion, ohne je in einen Krieg verwickelt zu werden.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz verbrachte er seinen Lebensabend in Nidau. Dort ereignete sich die wohl grösste Tragödie seines Lebens: Aus Versehen erschoss er seine über alles geliebte Frau. Politisch nach wie vor interessiert, aber zunehmend isoliert und verbittert, verstarb er mit 75 Jahren.

Damian Zingg, dem Autoren des Stücks, und Peter Leu, dem Regisseur, gelingt es, diese an Höhen und Tiefen überaus reiche Geschichte in knapp zwei Stunden nachzuzeichnen. 16 Darstellerinnen und Darsteller treten – zum Teil in Doppel- und Dreifachrollen – als Weggefährten und Gegner von Ochsenbein in Erscheinung.

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Hans Witschi gibt einerseits den Erzähler, der das Publikum mit magistraler Souveränität durch die Handlung führt, und andrerseits einen vom Scheitel bis zur Sohle glaubwürdigen Ochsenbein, der eben diese Handlung prägt. Ihm treu zur Seite steht seine Ehefrau Emilie (Claudia Iten; sie spielt auch die ebenso liebenswürdige wie wehrhafte Mutter Helvetia).

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Für einen Hauch Mystik und eine Prise Humor sorgen auf ihrem Bänkli in der Ecke Vreni Schneider als Ochsenbeins Tante Bäsilina (Bild unten) und Lukas Tanner und Jürg Walther als Gesandte ihrer französischen und österreichischen Majestäten. Gastauftritte von Jeremias Gotthelf oder Gottfried Keller lockern die über weite Strecken sehr happige Kost zusätzlch auf.

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Mit Blick auf die beeindruckende Gesamtleistung des Ensembles – das auch das ganz und gar chichifreie Bühnenbild konzipierte – mutet es jedoch fast schon unfair an, einzelne Akteure hervorzuheben.

Wer auch immer in welcher Rolle auch immer agiert: Die Schauspielerinnen und Schauspieler leisten in „Ochsenbein“ viel mehr, als sich glaubhaft durch die Handlung zu „arbeiten“. Sie ermöglichen dem Publikum vielmehr einen Blick auf eine Epoche, die schon Ewigkeiten zurückzuliegen scheint – und die angesichts der endlosen politischen Ränkespiele in der heutigen Zeit doch so nah ist.

Wäre Staatskunde seinerzeit in dieser Form dargeboten worden: Man hätte wie von alleine sehr viel mehr lernen können – und wollen.

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Stimmen zum Stück

Die Berner Zeitung lobte nach der Premiere: „Auch wenn sich das Stück an historische Fakten hält, ist daraus keinen trockene Geschichtsstunde geworden.“

Das Bieler Tagblatt staunte: „Im kleinen Biglen wird europäische Geschichte vordemonstriert, entsteht das politisch und brisante höchst brisante Biotop des vorletzten Jahrhunderts neu, in dem Ulrich Ochsenbein gefordert war.“

Hannes Zaugg, Chefredaktor der Theater-Zytig: „So unterhaltsam und spannend wurde wohl noch nie ein wichtiger Teil der bernischen und schweizerischen Geschichte vermittelt. Unbedingt empfehlenswert (für amtierende Politiker quasi Pflicht).“

Das Regionaljournal Bern-Freiburg-Wallis berichtet von einem „läbigen“ Stück; „gäng geit öppis.“ (A propos „Radio“: SRF1 widmete Ulrich Ochsenbein schon vor drei Jahren einen „Doppelpunkt“).

Volkmusikstar Melanie Oesch aus Ulrich Ochsenbeins Geburtsort Schwarzenegg (im Gästebuch der kulturfabrikbigla): „I bi begeistert vo dere grossartige Arbeit u vo öiere Art jedi einzelni Rolle so ufe Punkt z bringe. Mau sehr sachlich, mau dramatisch, mau lustig, mau truurig, mau euphorisch, mau unghüürig – es isch aus drbi. Eifach genial. “

Die Berner kulturagenda beleuchtet Hintergründe der „geschichtsträchtigen“ Inszenierung.

Weitere Aufführungen:

Donnerstag, 6. Februar,
Samstag, 8. Februar,
Sonntag, 9. Februar (ausverkauft),
Dienstag, 11. Februar,
Mittwoch, 13. Februar,
Donnerstag, 14. Februar,
Freitag, 15. Februar.

Für Tickets gehts hier entlang. Der telefonische Vorverkauf ist von Montag bis Sonntag jeweils von 10 bis 13 Uhr geöffnet (0900 10 11 12 / Fr. 1.19/Min.)

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