Die Last Minute-Kandidatur

„Mist. Demnächst sind Wahlen – und abgesehen von den paar Journalisten, die ich fast täglich mit einer Mail beglücke, kennt mich immer noch kein Mensch“, schoss es dem Berner FDP-Fraktionschef und Möchtegern-Gemeinderat Bernhard Eicher durch den Kopf.

Also setzte er sich hin und dachte darüber nach, wie er sich auf die Schnelle am besten bei potenziellen Wählerinnen und Wählern als der nächste Gemeinderat empfehlen könnte.

Klar war: Auf ausgelutschte Phrasen wollte er verzichten. „Kompetent“, „Erfahren“, „Umweltbewusst“ – damit konnten von ihm aus andere für sich werben. Für seine Kampagne schwebte Eicher etwas noch nie dagewesen Originelles vor. Mit einem spritzig-witzigen Auftritt, dachte Eicher, würde er seine längst profilierten, aber sehr auf Seriosität bedachten Mitbewerber um den Posten abhängen.

Der nächste Morgen war schon schwer am Grauen, als Eicher der erlösende Slogan endlich einfiel: „Konsequent in der Sache – menschlich im Umgang.“

Eigentlich hätte er jetzt, nach diesem fast übermenschlichen intellektuellen Effort, zu Bett gehen sollen. Stattdessen klingelte er, von seinem Kreativitätsschub noch völlig berauscht, einen befreundeten Fotografen aus den Federn: „Du! Ich habs jetzt! Alles, was noch fehlt, ist ein Bild! Hast du heute zufällig noch…?“

Der Fotograf hatte eigentlich überhaupt keine Zeit. Doch für seinen alten Kumpel Eicher liess er das Shooting mit einer Miss Bern-Kandidatin kurzerhand sausen. Im Studio setzte ihm Eicher detailliert auseinander, wie er sich das Wahlplakat vorstellt. „Was ich nicht will, ist so ein Nullachtfünzehnbild, wie es alle haben. Ich möchte etwas Spritzig-witziges, das zu meinem Slogan passt“, erklärte er dem Fotografen.

„Slogan? Was hast du denn für einen Slogan?“ brummte der Fotograf.

“Konsequent in der Sache – menschlich im Umgang“, erwiderte Eicher, fast platzend vor Stolz.

Der Fotograf, dem es um Politiker herum ohnehin nie ganz geheuer ist, bereute endgültig, der Miss Bern-Kandidatin abgesagt zu haben.

Vier Stunden später war das Bild fertig. Husch mailte Eicher das Foto samt dem Slogan an die Druckerei. Dann ging er schlafen.

Als er anderntags erwachte, waren die Leute von der Plakatgesellschaft schon fast fertig damit, die Stadt mit seinem – Bernhard Eichers! – Konterfei zuzutapezieren. Munter vor sich hin pfeifend, schlenderte der Kandidat an zart knospenden Bäumen vorbei durch Bern und nahm wohlvollend zur Kenntnis, dass die ersten Beizer ihre Tische an die wärmende Frühlingssonne stellten.

Vor einem seiner Plakate blieb er andächtig stehen. Er schaute sich ins Gesicht und flüsterte dem Poster zu: „Du und ich – wir brauchen keine Angst zu haben, wenn die Bernerinnen und Berner einen neuen Gemeinderat wählen. Der 25. November wird zu unserem ganz grossen Glückstag.“

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