Die neue Virklichkeit (37)

„Möge der Morgen dich freundlich wecken und dich nicht mit einer dunklen Botschaft erschrecken“: So lautet ein altirischer Segenswunsch, aber irgendwann musste ich ja wieder einmal einen Blick ins Fanpostfach werfen, und das konnte ich heute Morgen genausogut tun wie am Mittag oder, sagen wir, am Abend.

Ganze vier Zuschriften wurden darin seit der letzten Leerung deponiert. Drei von ihnen drehten sich nicht ganz unerwarteterweise um das Thema „Solätte“.

Gott Helf teilte mit: „Viele Beizer machen an der Solätte 1/3 ihres Jahreseinkommens. Nur schon wegen ihnen hätte man die Solätte durchführen müssen. Von den Kindern ganz zu schweigen.“

Herbi blies in ein ähnliches Horn: „Man sollte wegen Coronia nicht alles in Frage stellen. Die Solätte wäre für viele Kmu’s eine Chance gewesen auf die Beine zu kommen.“

Was soll ich dazu sagen? Auskünfte zum Thema „Umsatzbolzen trotz allem“ könnte sicher die Staatsanwaltschaft Innsbruck erteilen, aber die hat wegen des Falls „Ischgl“ grad noch anderes zu tun.

Eine Stammleserin aus Burgdorf schickte mir „Rosegi Gedanke“:

„Wie me doch am Alte chläbt.

So mängisch hei mir’s

scho erläbt,

u jedes Johr isch’s

wieder glych.

Was löst de ou

das Bsundere uus?

Isch’s d‘ Chlätterrose

vor em Huus?

Isch’s ds grosse

Buschelfrieseli-Beet

bi der Fründin Annegret?

Isch’s es Cherli,

flott im Takt,

wo eim gäng vo neuem packt?

Säget, geit’s Euch ou e so?

Äbe doch, de bin i froh.

We me gspürt um was es geit,

ou wenn haut öppe eine seit:

„Sentimental –

für die vo geschter.“

Mira doch –

Drum umso feschter.

Wie mir doch

nach so viel Jahre

üses Gspüri töif bewahre,

u chly luege wyter z gä.

Es tät bigoscht

mi wunger näh, wär sech da 

no sperze wett.

Doch nid gäg d‘ Solennität!“

Dieses Gedicht, schrieb sie, habe ihre Mutter vor 23 Jahren verfasst.

Jetzt verstehe ich besser, wieso die Burgdorferinnen und Burgdorfer dermassen an ihrer Solätte hängen.

Ein weiterer Leser – er nennt sich tatsächlich so: L.Eser – beschwerte sich über den Beitrag, in dem ich laut darüber nachgedacht hatte, ob ein Mitglied der Landesregierung neulich zum Coiffeur habe gehen dürfen, obwohl die Salons coronabedingt nach wie vor geschlossen sind.

„Können sie das beweisen? Ist das relevant?“, wollte er wissen, wobei ich zwischen den Zeilen einen leicht säuerlichen Geruch wahrzunehmen glaubte.

In aller Kürze: Nein. Und nein.

Mit einem einstimmigen ja muss hingegen die Frage beantwortet werden, ob sich ehemalige Bundesräte in die Angelegenheiten ihrer Nachfolger mischen sollen. Ohne die Ratschläge der Alten wären die jungen Schnösel nämlich komplett aufgeschmissen:

Und damit: ab an den Herd. Im „Stadthaus“ orderte ich für zwei Freunde, eine Freundin und mich zwei Cordon bleus ohne Beilagen und zwei mittelscharf gewürzte Tatars plus je vier Suppen und Desserts. Das Bestellte wurde von Christian Bolliger, dem Küchenchef himself, gestern Abend à la minute in den vierten Stock „meines“ Hauses geliefert und schmeckte, in einem Wort, superduper.

Um den Finish der Cordon bleus und das Aufwärmen der Suppe mussten wir uns selber kümmern, aber das stellte kein Problem dar: Meine Gäste waren Tabea und Manuel Hölterhoff, die im Kornhausquartier das Restaurant Serendib betreiben, sowie ein Gault Millau-Kritiker.

Für Nicht-Feinschmecker: Das ist, wie Virgil van Dijk, Cristiano Ronaldo und Lionel Messi in seiner Grümpelturniermannschaft zu haben oder als Nurunterderdusche-
sänger mit Lang Lang, Keith Jarrett und Anne-Sophie Mutter kammermusizieren zu dürfen.

Zwei anderen Besucherinnen setzte ich diese Woche eine ohne fremde Hilfe zubereitete Gemüselasagne vor. „Stadthaus“- oder „Serendib“-Niveau hatte sie nicht, aber gestorben ist daran – Stand jetzt – niemand, und das will in Zeiten wie diesen ja schon etwas heissen.

Hier ist das Rezept für sechs Personen:

Man nehme 1 Zwiebel, 2 Rüebli, 2 Peperoni, 1 Esslöffel Olivenöl, 200 Gramm Blattspinat, 1 Bund Basilikum, 1 Dose gehackte Tomaten, 1 Dezi Wasser, chli Salz und wenig Pfeffer, schäle die Zwiebel und die Rüebli, schneide sie mit den Peperoni in Stücke, erwärme das Öl in einer Pfanne, dämpfe das Gemüse an, gebe die Tomaten und das Wasser dazu, lasse alles kurz brodeln, würze das Ganze, reduziere die Hitze, lasse die Sauce eine halbe Stunde lang köcheln und nehme die Pfanne dann vom Herd, um den Spinat und das Basilikum dazuzugeben, und wende sich frohen Mutes der Béchamel-Sauce zu.

Für sie benötigt man je 3 Esslöffel Butter und Weissmehl, 7 Dezi Milch, etwas Salz und Muskat und Pfeffer und geriebenen Parmesan. Man erwärmt die Butter in einer Pfanne, kippt das Mehl dazu, dünstet es mit dem Schwingbesen rührend bei mittlerer Hitze an, ohne, dass es sich verfärbt, nimmt die Pfanne vom Herd, schüttet die Milch hinein, lässt sie aufkochen, reduziert die Hitze, würzt die Sauce, lässt sie noch etwa 10 Minuten lang köcheln, bis sie sämig ist, streut den Käse hinein – und fertig.

Zuguter Letzt bestreicht man eine Auflaufform mit Öl und verteilt darin 4 Esslöffel Béchamel. Dann werden Lasagneblätter lagenweise mit dem Gemüse und der Sauce aufgeschichtet. Zum Schluss: Käse darüber, viel Käse, und ab damit in den auf 200 Grad vorgeheizten Backofen. Nach gut einer halben Stunde wird serviert.

Auf einem der Dächer nebenan sägen und hämmern drei Männer seit Tagen wie die Wilden. Dazu hören sie Melodic Rock aus den 80ern. Was sie da oben bieten, ist absolut sehenswert, aber nid zum Häreluege. Ungesichert laufen sie 10 oder so Meter über dem Boden über Balken und Bretter, als ob es sich um Trottoirs handeln würde. Zwischendurch nageln sie etwas fest, werfen sich Isolationsmaterial zu oder hüpfen husch von A nach B, um etwas zu holen.

Ich beobachte sie mit derselben Faszination, mit der ich im Basler Zoo als Kind die Affli bewunderte, die sich scheinbar schwerelos von Ast zu Ast hangelten (falls einer der Dachdecker gerade mitlesen sollte: Das war nicht so gemeint, wie mans auffassen könnte. Seit ich euch bei eurer Büez zuschaue, gibt es kaum eine Berufsgruppe, vor der ich mehr Respekt habe als die Eure. Getoppt werdet ihr nur noch von den Virologen).

Dabei fällt mir ein: Wieder einmal durchs Dählhölzli zu bummeln – das wäre schon cheibe schön. Wenn das das nächste Mal möglich ist, liegt vermutlich eine dicke Schneedecke auf den Bisons, aber bis dahin sind wir vermutlich alle soweit, dass wir nicht nur die Tage und Wochen nicht mehr auseinanderhalten können, sondern auch die Jahreszeiten.

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