Gaumenfreuden in der Horizontalen

Sooli: Nach insgesamt drei Stunden Schlaf in drei Nächten kann ich die Pfingsthavarie an der Kauleiste heute beheben lassen.

Der erste Eindruck:

Nicht unschön, dieses Wartezimmer. Jedenfalls tötelet es hier nicht wie in anderen Vorhöfen zu dentalen Höllen. Rechts im Raum steht ein Fernseher (nicht im Bild), auf dem sinnigerweise „Mitten im Leben“ läuft.

Aber gut: Ich bin ja nicht hier, um mir Arte-Dokumentationen über das Schicksal zeitgenössischer Maler in der nepalesischen Wüste anzuschauen.

Dann gehts ab ins Behandlungszimmer. Auch hier: Nichts zu meckern. Hell, funktional, blitzblank sauber.

Wenn ich meinen Kopf nach rechts drehe, sehe ich auf einem Bildschirm

einen Teil meines Gebisses.

Die Aussicht links hat ebenfalls fast Postkartenqualität:

Dann:

Warten.

Schliesslich erscheint eine sehr, sehr kompetent wirkende Ärztin. Ich habe nicht den Eindruck, dass sie ihre Freizeit in Sadomaso-Studios verbringt; vermutlich ist sie mehr kreativ tätig, oder sportlich, oder beides.

Sie guckt sich das Bild von meinem Gebiss an, nimmt einen Augenschein in der Mundhöhle und sagt dann, das sei wohl keine grosse Sache.

Ich: „Ich muss ihnen noch etwas sagen. Einen grösseren Schisshasen als mich haben sie hier noch nie gesehen.“

Sie: Lacht.

Ich: „Ich meins ernst.“

Sie: „Sie müssen ü-ber-haupt keine Angst haben; hier tun wir niemandem weh. Alles, was Sie spüren, ist ein kleiner Pieks von der Spritze.“

Ich: „Spritzen können sie mir machen, soviel sie wollen. Von mir aus können sie mir ihre gesamten Betäubungsmittel-Restbestände ins Zahnfleisch drücken. Ehrlich gesagt, fände ich das sogar eine sehr gute Idee.“

Sie: „Sie müssen wirklich keine Angst haben. Und falls Sie doch etwas spüren sollten, sagen Sies einfach.“

Ich lege mich auf dem Schragen zurück. Glaube der Ärztin zu meinem grossen Erstaunen jedes Wort. Trotzdem: Morituri salutant den Rest der Welt. Knapp 47 Jahre meines Lebens rauschen wies Bisiwätter vor meinem inneren Auge vorbei. Schön wars; vor allem vom Anfang bis zur Mitte und von dort bis zum Schluss.

Sie flickt.

Ich merke, dass ich tatsächlich nichts spüre.

Sie (als ich beinahe eingeschlafen bin): „Ich sehe gerade…da ist noch etwas…. Da müssen wir…eine Wurzelbhandlung machen.“

Ich: „Ok. Machen wir das.“

Sie: „Auch das wird nicht wehtun.“

Ich: „Ich weiss.“

Sie sucht im Compi nach freien Terminen und wird am 11. und 19. Juni fündig.

Ich blicke diesen Behandlungen sehr gelassen entgegen.

Zahnarzt? So? Kein Problem.

Aber oha. Aber ohastens!

18.04 Uhr: Seit die Narkose abgeklungen ist, ist der Schmerz wieder da, in alter Frische. Was lief hier falsch? Muss um 7 Uhr nochmal vorbeigehen. Das kanns ja nicht sein.

1.16 Uhr: Hoffentlich reicht der Schmerztabletten-Vorrat bis zum Sonnenaufgang.

6.55 Uhr: Hurra: Ich stehe als Erster vor der Praxistüre.

7.15 Uhr: Meine Zahnärztin ist heute nicht da. Einer ihrer Kollegen sagt: „Ich schneide den Zahn jetzt auf, putze die Kanäle nochmal durch und…“

7.46 Uhr: Barzahlung ist sehr erwünscht. Macht 203 Franken. Macht jetzt total schon knapp 800 Franken. Und wir sind ja noch nicht fertig. Mir schwant: Noch lange nicht.

9 Uhr: Die Anästhesie klingt ab. Nächste Tablette. Ab ins Bett.

12.11 Uhr: Ein Hüngerchen. Aber was essen? Und wie?

12.48 Uhr: Probieren wirs mal so:

Ich hätte noch eines mit Zitronengeschmack kaufen sollen, dann wärs farblich perfekt gewesen: Jamaica, Mann! In meinem Kühlschrank!!

A propos: Vor 30 Jahren ist Bob Marley gestorben.

Das relativiert einiges.

Ändert aber nichts daran, dass ich immer noch Zahnschmerzen habe.

15.27 Uhr: Zwei Voltaren.

17.02 Uhr: Ein halbes Mefenacid.

17.21: Noch ein halbes Mefenacid.

17.33: Was machen andere Leute gegen das Zahnweh? Aha.

18.45 Uhr: In der Heimstätte Bärau bei Langnau beginnt die Vernissage für den dritten Band der „Mordsgeschichten aus dem Emmental“. Gleichzeitig wird im Beisein von „Tatort“-Kommissar Stefan Gubser der erste „Mords- und Spukgeschichtenweg“ der Welt eingeweiht. Wäre gerne dabeigewesen, habe aber, wie schon am Mittwoch für die „Henkersmahlzeit“ im Gaskessel, abgesagt. Dieser Zahn ruiniert mir noch meine ganze Schriftstellerkarriere. Schön ist: Die „Mordsgeschichten“ verkaufen sich fast von selbst: 1200 Exemplare seinen bereits ausgeliefert worden, teilt Verlegerin Verena Zürcher auf Facebook mit.

6.30 Uhr: Still the same. An dieser Stelle: Ein Gruss an Bob Seger! We would give you a very warm welcome in Switzerland!

9.15 Uhr: Nachschub holen

Das dürfte genügen fürs Wochenende.

(Schluss der Direktübertragung. Es gibt ziemlich sicher noch gescheitere Themen.)

5. Juni; Nachtrag zum Nachtrag: Der Zahn ist gezogen.

2 Kommentare

  1. Dass Leute, die sich mit Zähnen beschäftigen, für ein Happy End sorgen,
    ist genauso undenkbar, wie dass Leute, die mit Waffen zu tun haben, Frieden schaffen.

  2. …und ich freute mich nach dem ersten Teil schon über das Happy End. Gueti Besserig! Und ich hätte noch ein Pack Stocki für dich.

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