Die schönste Geschichte der Welt

„Schinken und Ei“: Unter diesem Titel schreibt Dialika Neufeld im „Spiegel“ über ein Ehepaar, das 72 Jahre Seite an Seite verbrachte. Ich hoffe, dass die Autorin und der „Spiegel“ nichts dagegen haben, wenn ich die Geschichte hier weitergebe. Für mich ist es die schönste Geschichte der Welt.

„Der letzte Tag im Leben von Gordon und Norma Yeager begann wie so ziemlich jeder Tag in den 72 Jahren ihrer Ehe: früh und gemeinsam. Sie versorgten gemeinsam ihren Yorkshireterrier. Sie stiegen gemeinsam in ihren rotbraunen Cadillac. Sie wollten zum Frühstücken fahren, so wie jeden Morgen, ein Ei, eine Scheibe Toast, ein Stück Schinken in einem ihrer Lieblingsrestaurants.

An einer Kreuzung auf dem Weg nach Marshalltown, Iowa, hielten sie an einem Stoppschild, er am Steuer, sie auf dem Beifahrersitz. Ein alter Mann mit grossen Ohren und grosser Brille, der viel lachte; eine alte Frau mit gewelltem Haar und rosigen Wangen. Was dann geschah, kam für beide überraschend.

72 Jahre Ehe, das ist fast zweimal so lang wie die Lebenswartung eines Menschen aus Angola. In 72 Jahren dreht sich die Erde mehr als 26 000-mal. In den vergangenen 72 Jahren gab es einen Weltkrieg, der erste Mann betrat den Mond, die Mikrowelle wurde erfunden, der PC. Die Welt veränderte sich, Menschen kamen zusammen, Menschen trennten sich wieder, egal, was um sie herum geschah.

Sie schienen ein Rezept gefunden zu haben. Eine Antwort auf die Frage, die sich Menschen in den USA, in Europa, Afrika, auf der ganzen Welt stellen: Geht das? Zusammen glücklich, bis dass der Tod euch scheidet?

Ihre Kinder Donna, 71, und Dennis, 52, – sie haben selber längst Kinder und Enkelkinder – sollen jetzt Auskünft darüber geben, ständig klingelt das Telefon. Die Geschichte, die sie erzählen, beginnt in den Dreissiger Jahresn.

Gordon und Norma Yeager lernten sich in State Center kennen, einem Kaff, am Lincoln Highway gelegen, der ersten transkontinentalen Strasse. Norma ging noch zur Schule, ein hübsches Mädchen, Tochter eines Fleischers. Sie spielte Basketball. Gordon schraubte in der Werkstatt seines Schwagers, Sohn eines Farmers. Er sah gerne beim Basketball zu.

Gordons Eltern hatten eine Farm, aber wegen der Wirtschaftskrise konnten sie sie nicht halten, schickten ihren 16jährigen Sohn fort zum Geldverdienen. Normans Vater starb früh, und sein Einkommen fehlte. Irgendwo zwischen Autogarage und Basketballplatz lernten sie sich kennen, Norma und Gordon. Sie heirateten am Tag von Normas Schulabschluss, am 26. Mai 1939. Er trug einen Anzug, sie ein blassblaues Kleid. Sie hatten nichts, aber es war egal; so erzählten sie es später ihren Kindern.

Der Krieg begann, sie gingen nach Kalifornien. Gordon heuerte im Hafen an, als Schweisser machte er aus Holzschiffen kriegstaugliche Stahlschiffe. Wenn seine Schicht im Hafen beendet war, arbeitete er ehrenamtlich in der Konservenfabrik und stellte Verpflegung für die Truppen her. Irgendwann reichte ihm das nicht mehr. Er meldete sich für den Kriegsdienst. Dies wäre der erste Moment in ihrem Leben gewesen, der sie hätte trennen können.

Aber Gordon wurde abgelehnt, das Schweissen hatte seine Lunge beschädigt. Statt in den Krieg zu ziehen, übernahm er in State Center eine Tankstelle und später eine Autowerkstatt, die betrieben sie gemeinsam. Vier Kinder bekamen sie, ein Mädchen, drei Jungen, von denen zwei Jungen starben. Dies wäre der zweite Grund gewesen, der sie hätte trennen können.

Aber Norma und Gordon überstanden auch das, blieben zusammen, glaubten daran, dass ein Versprechen ein Versprechen sei, einer ohne den anderen, das geht nicht, sagten beide. Sie wurden älter, mit ihrem jüngsten Sohn fuhren sie campen, fuhren Wasserski, sie kauften einen Hund.

Wenn Gordon etwas erzählte, dann schwieg Norma meist und lächelte. Wenn Gordon irgendwohin wollte, dann folgte sie ihm. Er war gerne laut, sie war leise. Er ass gerne Schinken-Sandwiches, sie machte ihm welche.

Man könnte nun sagen, das die Ehe von Gordon und Norma das Gegenteil einer emanzipierten Ehe war. Ihr Sohn aber sagt, dass diese Art von Ehe seine Mutter glücklich machte. „Sie fühlte sich gekränkt, wenn sie einem nichts zu essen machen durfte“, sagt er.

Als sie in den Ruhestand gingen, wurde ihr Leben angenehm einfach. Morgens guckten sie „Der Preis ist heiss“. Abends sahen sie sich im Fernsehen das „Glücksrad“ an. Gordon sagte, dass er nicht vor Norma sterben dürfe. Norma sagte das Gleiche, bloss umgekehrt. Manchmal stritten sie auch. Über den Hund. Aber am Ende des Tages vertrugen sie sich wieder, und am nächsten Morgen fuhren sie zusammen frühstücken, ein Ei, eine Scheibe Toast, ein Stück Schinken.

So auch am Morgen des 12. Oktober. Das Auto, das Gordon übersehen hatte, krachte von der Seite in den rotbraunen Cadillac. Jemand rief einen Krankenwagen, und als sie auf der Intensivstation lagen, mit gebrochenen Knochen, da fragte Gordon, wo Norma sei, und Norma fragte nach Gordon, bis ihre Betten zusammengeschoben wurden und sie sich an den Händen hielten.

Gordon ging vor, um 15.38 Uhr. Norma starb eine Stunde später.“

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