Die Sendungsbewussten mit der Maus

Maus

Unterschriften zu sammeln, war früher eine ziemlich aufwändige Sache: Wer sein Wohnquartier autofrei haben oder ein paar Kilometer weiter östlich den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan stoppen wollte, musste mit einem Formular von Haus zu Haus gehen und wildfremde Leute, die sich fünf Minuten vor seinem Besuch arglos zum Nachtessen hingesetzt oder es sich gerade bei einem „Tatort“ gemütlich gemacht hatten, von seinem Anliegen überzeugen .

Wenn der Initiant Jahre später ein paar hundert Namen und Adressen beisammen hatte, übergab er seine Autogrammsammlung einem Beamten auf der Gemeinde oder beim Kanton oder im Bundeshaus. Was mit den Papieren anschliessend passierte, erfuhr in der Regel kein Mensch und wenn doch, hats niemanden mehr interessiert, weil sich das Problem in der Zwischenzeit von selber erledigt hatte oder gar nicht mehr soooo dringend schien wie damals, als das Lammgigot wegen dieses Deppen an der Türe kalt wurde.

Heute lässt sich die Welt auf eine viel unkompliziertere Art und Weise retten: Auf Plattformen wie openpetition.de, petitionen24.com oder change.org kann jeder und jede eine Online-Kampagne starten, „bevor es zu spät ist!“ (oder jemand auf zig internetten Kanälen den nächsten hippen Protest um den Globus jagt).

Von dieser Möglichkeit machen immer mehr Bewohner dieses geschundenen Planeten Gebrauch: „Millionen von Menschen und Organisationen nutzen unsere Online-Petitionen, um Gesetze zu ändern, das Verhalten von Regierungen zu beeinflussen und ihre Gemeinden gesünder, sicherer und angenehmer zu machen“, heisst es auf einer dieser Seiten.

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Etwas viel Einfacheres, als eine Regierung oder einen Konzern zu beeinflussen, gibt es dank der professionellen Bewirtschafter der Betroffenheitsindustrie nicht. Wer hässig genug ist und einen Netzanschluss hat, schreibt in eine simpel gestrickte Maske, das Land X oder die Firma Y oder Herr Z plane eine Riesensauerei oder sei einfach doof und wenn dagegen nicht innert extrem nützlichster Frist (lies: Sofort!) etwas unternommen werde, dann gute Nacht. Am Ende klickt er auf „Senden“ – und fertig ist die virtuelle Demo.

Solche Botschaften zielen auf das in Wohlstandsgesellschaften besonders ausgeprägte schlechte Gewissen, rühren ans Mitleid, sorgen für Abwechslung im oft von Langeweile geprägten Alltag, befriedigen Rachegelüste und verbreiten sich mithilfe von Facebook, Twitter und artverwandten Erregungsbeschleunigern fixer über den  Erdball als Berichte über ein neues Dopingpräparat im Tour de France-Tross.

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Für Furore sorgen in letzter Zeit Petitionen zur Absetzung von TV-Moderator Markus Lanz , für die Abschiebung von Popstar Justin Bieber aus den USA und gegen eine Dokumentation über Jäger im ZDF. Aktuell im Gange sind, nebst unzähligen anderen, Aktionen gegen „Hundemord in Rumänien“,  Burger King, das Taubenfüttererungsverbot in einer deutschen Stadt, für mehr Rodelwettbewerbe bei Olympia, gegen Genmais in Niedermöllrich, zur Abschaffung der Säuglingstaufe, gegen die Hinrichtung einer schwangeren Frau im Sudan, gegen Marcel Reif als Kommentator der Spiele des FC Bayern München, für eine Neuauflage der Walpurgis Metal Days oder das Ansinnen eines norwegigen Unternehmens, in der Arktis nach Öl zu bohren.

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Viel Überredungskunst und Argumentationsgeschick ist naturgemäss nicht vonnöten, um Heerscharen von Gleichgesinnten und Ähnlichtickenden zum Mitmachen zu bewegen:  „Underschribe bitte und happy mittwoch!“: Mit diesen Worten fordert eine Facebook-Freundin ihre Fangemeinde  dazu auf, mit ihr – bequem am Laptop höckelnd – gegen die Rohstoffsucher am Nordpol zu kämpfen.

Wer dazugehören will (und, noch wichtiger, nicht riskieren mag, wegen unmenschlichen Verhaltens von der „Freundes“-Liste gestrichen zu werden), signalisiert mit einer einzigen Fingerbewegung „Gefällt mir“.

Wenn sich derlei Widerstandssignale häufen,  bekommen in der Regel auch die toughsten Staatenlenker und Verwaltungsräte weiche Knie . Die Chefs des oben erwähnten Ölkonzerns zum Beispiel treffen sich vermutlich in diesen Minuten zu einer eiligst einberufenen Sondersitzung, an der sie noch vor Mittag einstimmig beschliessen, die Übung da oben abzubrechen. Die Eisbären, die eben noch angstvoll der Ankunft  der Norweger entgegengezähneklappert haben, kriechen demnächst freudestrahlend aus ihren Höhlen und brummen artig „Dankeschön!“

Dass sich am Horizont, von den feiernden Umweltaktivisten  unbemerkt, schon die Silhouette des nächsten Öltankers abzeichnet, können sie ja nicht wissen.

Um dem zwar inflationären, aber letztlich halt doch wirkungslosen Unterschriftensammlungsunwesen Einhalt zu gebieten, hat der  Kabarettist Dieter Nuhr eine Online-Petition gegen Online-Petitionen gestartet  Auch sie verpuffte nach einer Weile im Nichts.

Das überrascht wenig. In einem sehr lesenwerten Beitrag zum Thema „Wo hört Netzdemokratie auf, wo fängt die Internet-Hetze an?“ notierte Ulrich Clauss in der „Welt“, dass manche Menschen das Internet missbrauchen, um „das Rechts- und Anstandsempfinden ausser Kraft zu setzen“.

Gegen diesen Trend stemmen sich offensichtlich mehr Leute, als den Online-Guerillas lieb sein kann. Und zwar nicht, indem sie aufs Geratewohl hin irgendwelche Botschaften an irgendwelche Zielgruppen verschicken.

Sondern, indem sie diese Aufrufe, mit denen oft pure Eigeninteressen durchgestiert werden sollen, einfach ignorieren.

 

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