Die Sonnen- und die Schattensaiten

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Es gibt

keinen Bassisten und

keinen Keyboarder und

keinen Schlagzeuger und

keine Lautsprechertürme und

keine Sicherheitsleute und

keine Absperrgitter und

keine Lightshow und

kein Trockeneis und

so gut wie keine „Fans“, die ununterbrochen ihre Handys in die Höhe strecken, um Fotos zu schiessen und Filmchen zu drehen.

Dafür gibt es, als Suzanne Vega und ihr Begleiter, der Gitarrist Gerry Leonard, mit einer Viertelstunde Verspätung die Bühne im ausverkauften Club Bogen F im Zürcher Industriequartier betreten, eine Panne: das Gesangsmikrofon funktioniert nicht.

Was bei anderen Künstlern dieses Kalibers zu hysterischen Anfällen und Fristlosentlassungen im Ressort Technik führen würde, quittieren Vega und Leonard (der als Gastmusiker von David Bowie oder Cyndi Lauper schon ganz anderes durchgemacht haben dürfte) mit einem Achselzucken. Sie brechen „Fat Man & Dancing Girl“, die Einstiegsnummer, lächelnd ab, warten, bis der Roadie ein Ersatzmik auf den Ständer geklemmt hat, und starten den Gig, als ob nichts gewesen wäre, noch einmal neu.

Und dann…dann gehts los. Mal mit ihrem Partner, mal ganz alleine, singt Vega sich in der dampfenden Hitze dieses Sommerabends durch die drei Jahrzehnte ihres musikalischen Schaffens. Mit „Marlene on the wall“, „Caramel“, „Left of center“ oder „In Liverpool“ geht die 56jährige US-Amerikanerin auf Nummer sicher; im zwei- vielleicht dreihundertköpfigen Publikum stehen nur wenige Gäste, die diese Songs nicht mitsummen können. Andrerseits präsentiert sie immer wieder Songs aus ihrem neusten Album mit dem etwas sperrigen Titel „Tales from the Realm of the Queen of Pentacles“ – und nimmt mit erkennbarer Verblüffung zur Kenntnis, dass der Menge vor ihr auch diese Nummern längst vertraut und liebgeworden sind.

Weit mehr als zwei Stunden lang – 20 Minuten Pause inbegriffen – erzählt Suzanne Vega in Dur und Moll zum Teil sehr persönliche Geschichten und zauberhafte Märchen, wobei nicht immer auf Anhieb klar wird, was wahr ist und was „nur“ gut erfunden. Sie singt über Liebe und Hass und Leben und Tod und Frieden und Krieg und Strassenschluchten und Wiesen, unterhält sich zwischendurch mit Zuhörerinnen und Zuhören, nimmt Wünsche entgegen, verrät, dass sie – schwupp, knöpft sie sich das schwarze Oberteil auf – noch nie in einem Bikini-Oberteil auf der Bühne gestanden sei und lässt (auch) mit all diesen nebenmusikalischen Aktivitäten keine Sekunde lang das schale Gefühl aufkommen, hier arbeite jemand nach Schema F ein längt zur Routine geronnenes Konzertprogramm ab.

Eine „spröde Sängerin“ sei Suzanne Vega, hat ein Reporter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung notiert, nachdem er einige Zeit mit der Künstlerin in deren Garderobe verbringen durfte. „Spröde“: Das mag damals, vor rund zehn Jahren, zugetroffen haben. Inzwischen ist davon nichts mehr zu spüren: auf der Bühne in Zürich steht eine reife, selbstbewusste, schlagfertige und humorvolle Frau, die die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens kennt und die weiss, wie sie aus beiden Extremen das beste machen kann: indem sie in ihrem New Yorker Apartment eine Gitarre zur Hand nimmt und das Erlebte und Gedachte vertont.

Mit „Luka“, der herzzerreisenden Hymne an ein misshandeltes Kind, und „Tom’s Diner“, ihrem kommerziell bisher grössten Hit, beschliesst Suzanne Vega den offiziellen Teil ihres Sets. Wenig später kommt sie für eine Handvoll Zugaben noch einmal auf die Bühne. Dann entlässt sie ihre restlos begeisterten Freundinnen und Freunde mit „Blood makes noise“ und „Rosemary“ in die von einem orangen Mond beleuchtete Nacht.

Nachtrag: Auch dem Kritiker der NZZ hat das Gebotene gefallen.

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