Die Zwergli, die Lehrerin, die Kampflesbe und der Typ mit dem Handy

Jetzt sind sie weg. Jetzt hats natürlich fast keinen Sinn mehr, zu fotografieren.

Allerliebst sehen sie aus, die zwei Dutzend Kinder, die in gelbgrünen Leuchtwesten auf dem Perron 2 des Burgdorfer Bahnhofs plappernd und schnatternd und in Zweierreih‘ und Glied auf den Zug warten.

Ich muss diesen Tatzelwurm fotografieren. Ich gehe zur Lehrerin, stelle mich artig vor, sage ihr, dass ich einen kleinen, privaten Blog betreibe und dass es mich schampar freuen würde, wenn ich von dieser Zwergliparade ein Bild machen könnte. Die Köpfe der Knirpse würden darauf nicht zu sehen sein, ergänze ich; es gehe mir nur um die bunten Westen.

Die Lehrerin, die vor nicht allzulanger Zeit noch selber zur Schule (Rudolf Steiner?) gegangen sein dürfte, und ihre Begleiterin – rein optisch eine Kampflesbe der ganz toughen Sorte (gedrungene „Ein Wort genügt und es häscheret“-Statur, Bürstenschnitt, Augenbrauenpiercing; was fehlt, sind Vierfrucht-Camouflagehosen und ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Männer sind Schweine“) – starren mich an, als ob ich sie gefragt hätte, ob ich zwei, drei ihrer Schützlinge nach Österreich oder Belgien verkaufen dürfe.

„Auf keinen Fall!“, sagt die Lehrerin, worauf ich noch einmal versichere, dass auf dem Bild nicht ein Kind identifizierbar sein würde.

„Nein, sorry“ wiederholt die Lehrerin. Dann klärt sie mich darüber auf, dass es, was das Fotografieren von Minderjährigen betrifft, „ganz strenge Regeln“ gebe. Da könne nicht einfach jemand dahergelaufen kommen und sagen, so, jetzt mache ich mal ein Bild. Da müsse vorgängig ein Antrag eingereicht werden, und zwar schriftlich, und der werde dann von der Lehrperson abgesegnet und, je nachdem, auch von der Schulleitung, und auf jeden Fall von den Eltern der Kinder; oder auch nicht.

Das leuchtet mir ein: Man stelle sich vor, wie Vater und Mutter Meier Hugentobler beim Zmorge die Zeitung aufschlagen und links unten auf Seite 24 gänzlich unvorbereitet wen sehen? „Das ist ja unser Joshua!“

Während sie auf das Careteam für medial vergewaltigte Angehörige warten, malen sie sich in allen Farben der Hölle aus, was als Nächstes passiert: Ihr Joshua landet in diesem Internet. Und dann: Lasset alle Hoffnung fahren.

Das mit den Regeln, sage ich freundlich (und dabei die Kampflesbe nicht aus den Augen lassend), sei mir bekannt. Ich sei von Beruf Journalist und habe schon oft mit Kindern zu tun gehabt. Genau deshalb frage ich ja, ob ich mit dem Handy ein Bild machen dürfe.

Die Lehrerin holt Luft. Ich sehe ihr an: Jetzt hebt sie zu einem dieser Grundsatzreferate an, mit denen sie Tag für Tag auch die tolerantesten Kolleginnen und Kollegen aus dem Lehrerzimmer auf den Pausenplatz verscheucht.

Mir wirds zu blöd. Ich entschuldige mich für die Störung, wünsche den Lehrenden und Lernenden einen wunderschönen Tag und ziehe mich zurück.

Nächstes Mal drücke ich einfach ab.

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