…doch dann kam die Entführung dazwischen

Zu sagen, was zu sagen wäre, und zu schreiben, was zu schreiben ist: Das wagt im Fall des von Taliban entführten Emmentaler Polizisten-Paares kaum jemand. Mit Rücksicht auf schon laufende oder noch anlaufende Lösegeldverhandlungen diplomatische Gespräche mit den Geiselnehmern hüten sich Behördenvertreter, Angehörige und Medienschaffende, auch nur anzudeuten, dass es amänd keine sehr gute Idee gewesen sein könnte, ihre Fernost-Ferien um einen Abstecher nach Pakistan zu bereichern; immerhin zählt die Region laut Sicherheitsexperten – zu denen nach landläufiger Meinung auch Polizisten gehören – zu den gefährlichsten Gegenden der Welt.

„Selber schuld“: Das sagt niemand – zumindest nicht offiziell. Das erstaunt wenig, wenn man weiss, dass in Taliban-Stämmen nach Entführungen jeweils zwei bis sechs Mitglieder rund um die Uhr damit beschäftigt sind, die Zeitungen aus dem Herkunftsland ihres Opfer zu lesen, um den Marktwert der Beute abschätzen zu können. Wenn einer dieser Leser beim Studium der Emmental-Ausgabe der Berner Zeitung sieht, dass die öffentliche Anteilnahme an dem Fall gross ist, können seine Leute einen höheren Preis fordern, als wenn er ihnen berichten muss, er habe im „Anzeiger von Burgdorf“ soeben gesehen, dass sich kein – pardon! – Schwein für die Entführten interessiere.

Noch ist nicht absehbar, wie sich die Dinge für die Gekidnappten entwickeln und welchen Anteil an den „Repatriierungskosten“ die Schweizer Steuerzahler leisten werden. Dafür kann sich heute schon jedermann vorstellen, was das Paar nach seinem Urlaub erzählt hätte, wenn ihm nicht diese Entführung dazwischengekommen wäre. Dann hätte es ungefähr so getönt:

„…und als wir in Indien waren, dachten wir: Pakistan liegt so nahe – lass uns das einmal anschauen gehen. Als wir in Belutschistan im Südwesten Pakistans ankamen, waren wir überrascht von der Herzlichkeit und Gastfreundschaft, mit der uns die Einheimischen empfingen. Die Herzlichkeit, mit der die Taliban und ihre Angehörigen auf Fremde zugehen, war für uns Schweizer mehr als verblüffend. Wir waren richtiggehend gerührt. Nach einem feinen Nachtessen unter dem freien Sternenhimmel erzählten uns die Stammesführer unendlich viele Geschichten aus ihrer bewegten Vergangenheit. Mit Terrorismus hätten sie nichts zu tun, versicherten sie. Ihnen genüge es, wenn sie mit ihren Schafen und Ziegen ein einfaches, aber friedliches Leben führen können. Unser letzter Gedanke vor dem Einschlafen war: Das Bild, das die westlichen Medien von diesen Menschen zeichnen, stimmt mit der Wirklichkeit in keiner Hinsicht überein. Wären alle Menschen so wie die Leute, die wir in Pakistan getroffen haben: Die Welt wäre eine friedlichere.“

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