Ein Leben in Zuckerwatte

„Schwierig“ ist ein Wort, das Journalisten regelmässig benutzen, wenn sie über die Berner Mundartpopperin Natacha reden. Beim Gegenlesen von Interviews fummle Frau Utiger aus Ersigen oft nicht nur an den Antworten herum, sondern auch an den Fragen, heisst es, zum Beispiel.

Über die Bilder, die von ihr veröffentlicht werden, wolle die 48-Jährige die totale Kontrolle haben – auch über Aufnahmen von ihren Konzerten. In der Zeit, die sie vor einem Fototermin zum Schminken benötige, würden andere Sängerinnen eine Doppel-CD samt Begleitheft produzieren, erzählen Kolleginnen und Kollegen in einem Tonfall, in dem manchmal auch etwas Mitleid mitschwingt.

Aber letztlich geht es ja um die Musik. Auf ihrer Facebook-Seite lässt die Künstlerin ihr neues Werk „Startklar“ wie folgt würdigen (ich habe den Text im Original übernommen, auch wenn er da und dort etwas holpert):

„Voll freudig, klar und zärtlich, so klingt <Startklar>, das 11. Album der Berner Mundart-Rocksängerin Natacha. (…) Es birgt in sich das selbstbewusste Statement einer Frau, die nicht mehr zurück schaut, sondern sich auf die Gegenwart fokussiert und vom Morgen träumt. Die Akkorde der akustischen Gitarre klingen leichthändig, mit total locker aus den Fingern gezauberten Klängen zusammen mit Beats des Schlagzeugers die von mal zu mal kräftiger und wieder sanfter werden, im Gleichzug mit einem Bass der rhythmisch unterstützt, weiteren rockenden Gitarren, Backingvocals und einer tollen Stimme an der Front, die seit fast zwei Dekaden in der Schweiz für qualitativ und emotional geladenen Mundartrock bringen. (…) So klingt das ganze Album, einfach harmonisch im Gesang mit voller Begeisterung, hörbar und spürbar rüberkommend (…) Die akustischen Gitarren strahlen Wärme aus, die erdigen R&B-Backing Vocals haben Soul und eine urbane Qualität, die bestens zu Natachas Songs passen, die einmal mehr direkt aus dem Leben erzählen.“

Ganz so überschwänglich würde ich, bei aller Unvoreingenommenheit, nicht umschreiben, was ich soeben gehört habe. Die Melodien auf „Startklar“ sind so glattpoliert und überraschungsfrei wie seit dem ersten Natacha-Album vor einem Vierteljahrhundert und die Texte dazu so gspürig wie öde. Wobei: Wer hin und wieder englische Hits ins Deutsche übersetzt, entdeckt auch nicht in jedem Fall die ganz hohe Literatur.

Das Problem an „Startklar“ ist: Wäre diese CD der erste musikalische Gehversuch einer 18-Jährigen, würde man mit einigem Wohlwollen sagen, die Dame habe Potenzial. In Frau Utigers Alter hingegen haben Frauen mehr zu erzählen als pubertierende Teenager. In Frau Utigers Alter ist das Leben in aller Regel nicht bloss eine von gelegentlichen Affären unterbrochene Suche nach Mister Perfect. Sondern auch ein Kampf mit Rückschlägen, Depressionen, Langeweile und Frust. Von all dem ist in dem ganzen Zuckerwattengesäusel auf „Startklar“ nichts zu hören.

Heranwachsenden, die vor zwei Wochen knapp die Trennung von ihrem Sommerferienflirt überlebt haben, wird „Startklar“ ein dünnes Trostpflästerchen sein. Halbwüchsige, die an die ewig währende Ersteblick-Liebe glauben, können die Platte bis zum Beweis des Gegenteils als Beleg dafür betrachten, dass all you need tatsächlich love ist.

Alle anderen aber; all jene, die sich von einer Mutter von längst erwachsenen „Kindern“ auch ein paar Worte von jenseits des „Bravo“-Horizontes erhoffen, werden „Startklar“ nach einmaligem Durchhören auf Nimmerwiederhervornehmen im CD-Ständer oder im nächsten Flohmarkt entsorgen.

Anschliessend greifen sie zu „Close up“ von Suzanne Vega, „Fearless love“ von Melissa Etheridge oder „100 Miles from Memphis“ von Sheryl Crow: drei Werken von in Würde gereiften Frauen, die den Mut haben, zu ihren Ecken und Brüchen und – pardon! – Falten zu stehen.

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