Hafenmeister

Weil Chantal sich mit ihrer Tante für zwei Tage in den Busch zurückgezogen hat, stehe ich heute vor einem Problem: Wie zum Teufel bringe ich in Sydney und Umgebung 36 einsame Stunden über die Runden?

Ich beschliesse, mit dem Zug von North Strathfield, wo wir die ersten zwei unserer sieben Flitterwochen verbringen, in die City zu fahren und dort chli durch den Hafen zu bummeln.

Mein Plan: Ich will die weltberühmte Harbour Bridge aus einer Perspektive fotografieren, aus der kein menschliches Wesen sie je fotografiert hat. Nach einer sehr ausgedehnten Suche werde ich fündig: An einem Geländer hängt ein Rettungsring. Vor den Augen zahlloser Touristen verrenke ich mich bis zum Gehtfastnichtmehr.

Irgendwann ist das Bild im Kasten. Es strotz nur so vor Symbolik: Eine aus der Brücke und einem Pfosten bestehene Armbrust (Schweiz!) mit einem orange-weissen Ring drumherum, der das Ganz Grosse Ganze (Welt! Globalisierung!! Zusammenhalt!!!) darstellt. „Das soll mir erstmal einer nachmachen“, denke ich, und setze mich entspannt in ein Café in der Nähe, um das schöne Gefühl, etwas für die Ewigkeit kreiert zu haben, zu geniessen.

Doch was sehe ich, waseliwas, während ich auf den Kaffee warte? Ein f***ing Tourist in kurzen Jeans und einem „I love Australia“-Shirt geht genau vor meinem Schwimmring in die Knie und…

…aber was solls. Möge ihm sein blödes Brückenbild viel Freude bereiten. Soll er doch platzen vor Stolz über seinen gloriosen Einfall, den vor ihm garantiert schon achthundertmillionentausend Sydney-Besucherinnen und -Besucher gehabt hatten.

Von der Zugfahrt in der brütenden Hitze immer noch mittelprächtig ermattet und vom künstlerischen Schlag ins Genick halt doch leicht taumelnd, schleppe ich mich über die asphaltierten Weglein am Hafenbecken und lasse mich im erstbesten Restaurant, das nicht nach Fastfood aussieht, nieder.

Der Speisekarte nach zu schliessen, ist der Beizer ein AC/DC-Fan durch und durch. Ich bestelle aufs Geratewohl hin eine

Pizza T.N.T..

Sie besteht im Wesentlichen aus Zwiebeln, Speck, Schinken, Peperoni, Salami, Knoblauch, scharfen Wursträdli, undefinierbarem Käse und Chili. Knapp eine Stunde später bin ich auf dem Highway to hell, lies: mit wachsender Verzweiflung auf der Suche nach einer Toilette.

Was viele nicht wissen: Der Hafen von Sydney hat mehr zu bieten als nur diese blöde Brücke und ein paar Schiffe und Lokale, in denen mikrogewellte Abführmittel aufgetischt werden. Auf dem sehr weitläufigen Gelände steht auch das Museum of Contemporary Art.

Die Videoinstallation an der Fassade zieht mich so magisch an wie kurz zuvor das Toilettenzeichen (übrigens: In Sachen WCtürengestaltung könnten die Schweizer von den Australiern noch einiges lernen:

Das gilt – und damit verlassen wir den Hafen kurz – auch für Verkehrsschilder. Auf so etwas

muss man erst einmal kommen.

Wo waren wir stehengeblieben? Vor dem zeitgenössischen Kunstmuseum, und zwar deshalb:

In der Annahme, dass es drinnen vergleichbar unterhaltsam weitergehen würde, ging ich die erste Treppe hoch und dann, als ich merkte, dass ich meine intellektuellen Grenzen mit der letzten Stufe bereits überschritten hatte, wieder hinunter und hinaus.

Aber nur schon diesen sekundenkurzen Hauch von Hochkultur zu spüren, inspirierte mich, spontan ein kleines Kunstwerk zu schaffen, und zwar das hier:

Es heisst „Wer die Musik in Ketten legt, gehört aufgespiesst“ und kann bei mir bestellt werden

– als MMS für 50 Rappen zzgl. Porto und Mwst

oder

– als gerahmtes und signiertes Poster für 10 570 Franken, inkl. Porto, Mwst und alles, aber ohne die Versandkosten.

Und dann…dann sah ich ihn: Den alten Mann mit der Minigitarre in den schwieligen Händen und der zerbeulten Mundharmonika an den von der Sonne und der Hitze zerrissenen Lippen. Er sass einfach nur da und spielte und spielte und sang und sang und wenn er auch nur ein paar Jahrzehnte jünger gewesen wäre, würde ich jetzt schreiben, ich habe in diesem Moment die Zukunft des Blues gesehen und -hört:

Das böse Erwachen folgte diesem Erweckungserlebnis auf dem Fuss: Weiter vorne sass ein echter original Aboriginal im Schneidersitz am Boden und blies zu Technoklängen auf seinem Didgeridoo:

(Kleines Quiz zwischendurch: Wer errät, welchem der beiden Herren ich wesentlich mehr Münz hingelegt habe als jenem, der leer ausging, obwohl er und seine Mitureinwohner es gewiss hätten brauchen können, gewinnt ein MMS von meiner Opernhaus-Aufnahme).

Was war noch? Nichts eigentlich; ausser, dass ich für die Fahrt zurück nach Strathfield nicht den Zug, sondern die Fähre nahm, die mich aus dem Hafen von Sydney direkt zum Olympiagelände führte. Die Gelegenheit, den famous Harbour als erster Mensch überhaupt vom Wasser aus zu filmen, liess ich mir genauswenig entgehen wie praktisch jeder andere Mitpassagier auch:

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