Gott nimmts gemütlich

Unknown

Wenn man als Musiker alles erreicht hat. Wenn man niemandem mehr etwas beweisen muss. Wenn einem der Himmel ebenso vertraut ist wie die Hölle. Wenn man soviel Geld hat, dass auch die Grosskinder noch Mühe haben werden, es auszugeben. Wenn man seit über 40 Jahren als Gott bezeichnet wird…was macht man dann?

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Man wartet am Strand mit silikongetunten Extremblondinen auf den finalen Herzinfarkt, nervt die Leute im Pub down the road jeden Tag mit seinen ausgeleierten Geschichten – oder man greift zum Telefon, ruft ein paar Kumpels von früher an und fragt sie, ob sie vielleicht Lust hätten, mit einem ins Studio zu gehen, um chli zu spielen.

Nein, sagt man den ebenfalls längst angegrauten Kollegen, die schon befürchten, das könnte amänd in Arbeit ausarten; es sei nichts Ernstes. Niemand brauche etwas zu komponieren, weil das Rohmaterial bereits vorliege. Ihre Instrumente und viel gute Laune: Mehr bräuchten sie nicht mitzubringen, versichert man den Jungs.

Dann legt man den Hörer zurück auf die Gabel – das Handy, das einem Nachbarn vor zwei Jahren zum 65. Geburtstag geschenkt hatten, damit man daheim nicht versauert, liegt immer noch unbenutzt in einer Wohnwandschublade – und wartet ab, was passiert.

Nach ein paar Wochen klingelts an der Türe. Unter grossem Hallo und Schulterklopfen und You’relookin’fuckin’great! bittet man Paul McCartney, J.J. Cale, Chaka Khan und Steve Winwood herein. Man verputzt gemeinsam eine Gemüseplatte, stösst mit stillem Wasser auf die Glory Days an und steigt schliesslich süüferli die Kellertreppe hinab.

Wenig später sind die Gitarren und Orgeln eingestöpselt und die Mikrofone justiert. Es kann losgehen.

So ungefähr stelle ich mir die Entstehungsgeschichte von „Old Sock“ vor, dem neuen und 20. Studioalbum von Eric Clapton. Ich weiss nicht, ob Mr Slowhand von Anfang an vorgehabt hatte, damit sein Alterswerk zu schaffen. Aber falls das der Plan gewesen sein sollte: Er ist aufgegangen.

Locker und entspannt fidelt sich der Brite durch eine Auswahl seiner Lieblingslieder und zwei neue eigene Stücke („Gotta get over“ und „Every little thing“). Einige der Songs (zum Beispiel „Goodnight Irene“ von Lead Belly) wurden noch vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben, andere (wie das schon von Gary Moore geklaute „Still got the Blues“ aus dem Jahr 1974) sind vergleichseise neueren Datums.

Im Vergleich zu E.C.’s letzten überpolierten und rundumgeschliffenen Werken „Back home“ und „Clapton“ wirkt „Old Sock“ erfrischend roh und erdig und dennoch (oder gerade deshalb) persönlich und streckenweise beinahe intim. Auf den Einsatz von elektronischem Schnickschnack wurde weitgehend verzichtet.

Wer eines jener epischen Gitarrensoli erwartet, mit denen Clapton seine Fans weiland verzückte, wird auf „Old Sock“ enttäuscht. Hier dominiert heimeliger Folk, cooler Jazz, warmer Reggae und traditioneller Blues.

Das einzige Stück, das von Ferne an den Clapton von damals erinnert, ist „Gotta get over“:

Andere würden mit so einem Song eine Weltkarriere begründen. Für Eric Clapton und seine Kumpels ist er nicht mehr – aber auch nicht weniger – als ein Vehikel, auf dem sie bestens gelaunt durch den Herbst ihrer Karrieren tuckern können.

Kurz vor Schluss, als man schon nahe daran ist, das Opus mit dem Präsikat „Perfekt“ zu würdigen, plärrt ein Kinderchor dazwischen, aber was solls. Vermutlich dachten die alten Kämpen, es sei immer noch besser, wenn sich die Kleinen im Aufnahmeraum nützlich machen, statt draussen herumzulärmen und die Seniorenrunde auf ihrem gemütlichen Rundgang durch die Vergangenheit zu stören.

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