Gschmuuche Momente

Im Zug sitzen an diesem Wintersonntagabend nur wenige Leute – darunter ein Grossvater mit seinem drei-, vielleicht vierjährigen Enkel.

„Jetzt kommt Burgdorf“, sagt der Senior. „Dann kommt bald Langenthal. Wenn wir daheim sind, nehmen wir ein Bad, gäu.“

Mir wird chli gschmuuch.

Ich fühle mich wie damals auf dem WC von Toni’s Zoo in Rothenburg. Während ich so dasass in meinem Kabäuschen, hörte ich, wie die Türe zur Toilette aufging. Jemand begann, ein Kind zu wickeln. Dazu murmelte eine im Lauf der Jahrzehnte brüchig gewordene männliche Stimme ununterbrochen: „Er ist so gross…so schön…so gross…so schön“.

Nach einer Weile ging der Unbekannte zum Pissoir. Wasser musste er nicht lassen. Dafür verschaffte er sich anderweitig Erleichterung. Irgendwann stöhnte er auf. Sekunden später war ich wieder alleine im Raum. Der alte Mann hatte nicht einmal gespült.

Im Zoo-Restaurant sah ich kurz darauf einen betagten Herrn und einen sehr, sehr kleinen Buben an einem Tisch höcklen. Ihnen gegenüber löffelte eine Frau – wohl die Mutter des Kindes – einen Coupe aus. Am liebsten wäre ich zu ihr hingegangen, um sie zu fragen, ob sie eigentlich wisse, was ihr Vater (oder Schwiegervater) mit ihrem Sohn so treibe, wenn er mit ihm alleine sei.

Ich liess es bleiben. Ich hatte keine Beweise. Und selbst wenn ich der Mutter mit Bild- und Tonaufnahmen hätte belegen können, was vor einer Viertelstunde passiert war: Sie hätte mir nicht glauben können. Und sie hätte mir, vor allem, nicht glauben wollen.

Und überhaupt: Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr gelang es mir, mir einzureden, dass mich das alles sowieso nichts angehe.

Aber ganz sicher war ich mir seinerzeit, im Zoo, so wenig wie gestern im Zug.

Andrerseits: Womöglich sitzt der Kleine bei diesen Bädern immer quietschend vor Freude in der Wanne, während der Opa ihm die Haare wäscht und ihm eine coole Geschichte erzählt. Es könnte ja sein, dass der Junge sich jeweils schon lange im Voraus auf dieses Ritual freut, weil sich dann jemand so richtig um ihn kümmert.

Nach all den Montagen und Dienstagen und Mittwochen und Donnerstagen und Freitagen in der Ganztages-Kita ist er amänd ganz froh, wenn ihn das Mami über die Wochenenden bei den Grosseltern abgibt, weil es, wie es immer sagt, „einfach auch mal ein bisschen Zeit für mich selber“ benötigt.

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