„Ich habe doch auch ein Leben.“

(Bild: Sabine van Erp/Pixapay)

Am Nebentisch: Zwei ältere Damen. Die eine sass schon ein Weilchen da. Die andere setzte sich später dazu. Sie kennen einander, scheinen sich aber länger nicht mehr gesehen zu haben. Sie reden über Corona, das Wetter und eine Abdankung. Dann fragt die eine:

„Und sonst?“

„Was soll ich sagen? Nicht so gut. Es wird immer schlimmer.“

„Wieso?“

„Sie musste wieder ins Spital.“

„Ui. Wie alt ist sie jetzt?“

„91.“

„Doch schon.“

„Ja.“

„Das hättest du auch nicht gedacht, dass du…“

„Jesses, nein. Aber was wosch?“

„Oh je.“

„Ich war ehrlich gesagt noch froh, musste sie ins Spital. Es war ja nichts Schlimmes, nur wegen dem Fuss. Manchmal wird es mir einfach zuviel.“

„…“

„Ich bin die einzige, die zu ihr schaut. Eigentlich mache ich nichts anderes mehr.“

„…“

„Einkaufen, putzen, herumfahren, vorkochen, Wäsche, vorlesen. Einfach alles.“

„Phuu.“

„Ich habe doch auch ein Leben.“

„Ja, klar. Und er?“

„Ist seit März im Heim. Senevita.“

„Wenigstens das.“

„Ja, wenigstens das.“

„…“

„Und deine Schwester?“

„Irene? Chasch dänke.“

„Hilft sie nichts?“

„Nenei. Nie.“

„…“

„…“

„Weisst du, was das Schlimmste ist?“

„Das wegen dem Heim?“

„Nein, das ist schon gut. Das war ja klar.“

„Stimmt, das hast du gesagt.“

„Das Schlimmste ist: Als sie wieder aus dem Spital kam, sagte sie, jetzt wolle sie ein bisschen weg.“

„Heieieiei.“

„Sie wollte unbedingt nach Italien. Weisch, in das Hotel, in dem sie mit ihm immer war. Ich dachte, gut, dann gehen wir halt nach Italien. Im Hotel schauen die Leute sicher zu ihr. Vielleicht tut mir so chly Pause ja auch gut.“

„Ja, klar.“

„Aber weisst du, mit wem sie dann nach Italien ging?“

„Keine Ahnung.“

„Mit Irene. Sie hat ihr alles bezahlt.“

1 Kommentar

  1. Ja. Und dann erkannte sie meine Schwester, die nach Wochen gekommen war. Mich sprach sie mit SIE an. Ich packte den Sack mit der Schmutzwäsche und ging aus dem Zimmer. Vielleicht ist Abschied nehmen ringer so…

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