Kinder, Karten, Atemnot

Weil sich in den Haus, in dem in Bern die BZ untergebracht ist, auch die Studios und Redaktionen von Telebärn und Radio Capital FM befinden, läuft man immer mal wieder Leuten über den Weg, die berühmt waren, sind oder werden möchten. Polo Hofer zum Beispiel schaut öppedie vorbei; neulich waren Florian Ast und Francine Jordi da. Meist gehen diese Besuche ohne Aufsehen vonstatten: Die Promis kommen, setzen sich vor die Kamera und/oder vors Mikrofon, plaudern über was auch immer und gehen dann ins nächste Studio, in die Beiz oder nach Hause.

Hin und wieder sind Persönlichkeiten da, die etwas zu sagen haben. Heute aber war grosses Politiker-Treffen, wie schon so oft in den letzten Wochen, vor den Ständeratswahlen. Manche Politiker sind so oft in unserem Gebäude, dass ich mich schon gefragt habe, ob es amänd nicht gescheiter wäre, ihnen vorübergehend ein Büro zur Verfügung zu stellen. Darin könnten sie sich als WG einrichten. Wenn einer von ihnen etwas sagen will oder muss, kommt er heraus, gibt sein Statement ab und fertig.

Item. An diesem ansonsten recht schönen Donnerstag gaben sich nicht nur der neu in den Ständerat gewählt werden möchtende Nationalrat Hans Stöckli und die wieder in den Ständerat gewählt werden wollenden Adrian Amstutz und Werner Luginbühl ein Stelldichein am Dammweg 9, sondern auch zwei Dutzend Kinder von Redaktorinnen und Redaktoren, weil: Zukunftstag. Die 50- bis 60jährigen Kandidaten freuten sich gar sehr, als sie der Kleinen angesichtig wurden, und wollten gar nicht mehr aufhören, die Kinder anzulächeln wie Onkels aus Amerika, die zum ersten Mal in ihrem Leben die lieben Neffen aus der Schweiz sehen dürfen.

Doch damit liessen es die Herren nicht bewenden. Staunend-strahlend-baff erzählte eines der Kinder anschliessend, dass es Autogrammkarten erhalten habe. Herr Stöckli (oder Herr Luginbühl; ich habe nicht sooo genau hingehört) habe gesagt, er habe jetzt schon über 20 000 Autogrammkarten verteilt, das sei doch wow, sagte der Knirps.

Man muss sich das vorstellen: Gestandene Männer händigen von der Politik noch ganz und gar unbefleckten Kids Autogrammkarten aus, um…

…um was eigentlich?

Um sich schon heute Stimmen für überüberübermorgen zu sichern? Überüberübermorgen: Das wäre in ungefähr zehn Jahren. Bis dann haben die Jungs und Mädchen wohl kapiert, dass sie in ihrer Freizeit noch Sinnvolleres tun können als Kreuzchen in Ringli vor Namen zu zeichnen, deren Träger allesamt behaupten, kompetent und engagiert und erfahren und umweltbewusst und wirtschaftsfreundlich zu sein, die in Wirklichkeit jedoch alle nur… aber ich schweife ab. Das spielt aber keine Rolle. Denn bis in zehn Jahren haben die Kids sowieso vergessen, wer ihnen damals diese bunten Kartons mit den etwas gekünstelt lächelnden Gesichtern drauf in die Hand gedrückt hatte. Abgesehen davon weiss dann kein Mensch mehr, was das ist, ein Karton.

Wozu dann?

Um die Kleinen dazu zu bringen, beim Znacht unversehens auf den Stuhl zu steigen und den Eltern zuzurufen: „Wählt Stöckli! Der hat viel die geileren Autogrammkarten als dieser andere!!“

Sicher nicht. Oder doch?

(Mo-ho-ment. Bin…so-hooooo-fort…wieder…)

*hust*, *röchel*

So.

Die Sache ist: Als ich vorhin so vor mich hin sinnierte, wie zum Teufel Politiker darauf kommen, Kindern Autogrammkarten zu geben, schlich sich von hinten und von mir unbemerkt die Vernunft an. Sie würgte mich, bis ich fast keine Luft mehr bekam, und flüsterte: „Könnte es vielleicht sein, dass du hier nur deine blöden, alten Vorurteile hegst und pflegst? Hast du dir auch schon überlegt, dass die Politiker den Kindern diese Karten möglicherweise nur gegeben haben, um ihnen eine Freude zu machen? Hast du schon daran gedacht, dass die Herren gar nicht wissen konnten, dass Kinder umewäg sind, und dass nicht einmal du von Politikern erwarten kannst, dass sie immer Luftballons und Nintendo-Konsolen und Strohrum und eine Auswahl halbautomatischer Waffen in der Jackentasche haben, damit sie überraschend auftauchenden Minderjährigen etwas schenken können? Was hättest du diesen Kindern angeboten, wenn sie auf einmal vor dir gestanden wären? Eine Zeitung? Einen Schlüsselanhänger? Wenn ja: Wäre das wirklich sehr viel intelligenter gewesen als eine Autogrammkarte? By the way: Hast du überhaupt Autogrammkarten?“

Als ich mich innerlich schon von einem grossen Teil meiner Lieben verabschiedet hatte, löste die Vernunft ihre Umklammerung und verschwand so unauffällig, wie sie gekommen war, aus meinem Büro.

Jetzt höckle ich chli belämmert hier, ringe um Atem und frage mich, wieso ich den ganzen Stuss da oben überhaupt geschrieben habe.

Das bringt nichts mehr, jetzt. Vielleicht schreibe ich später weiter.

Wahrscheinlich aber eher nicht.

1 Kommentar

  1. Wieso sollen Kinder und Erwachsene nur Panini-Bildli von Schütteler sammeln? Mit diesen Politiker-Bildli kann doch weiss Gott auch ein schwunghafter Tauschhandel betrieben werden! 3987 Chr. Blocher gegen 1 J.Fehr, 5634 Amstützli gegen 1 Rechsteiner usw.
    Lasst uns Heftli zum Einkleben drucken! Lasst uns mit diesen Köpfen Geld machen, so sind sie wenigstens zu öppisem von Nutzen!

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