Neue Dimensionen des Verbrechens

Er steckt ein Baby in den Backofen. Er schlitzt eine schwangere Frau auf. Er schlachtet in der Autowaschanlage eine Mutter vor den Augen ihres vierjährigen Sohnes ab. Rund um dem Erdball hat er Menschen vergewaltigt, verstümmelt, gefoltert, verbrannt, vergiftet oder erschossen, ohne auch nur den Schatten einer Spur zu hinterlassen.

Er kommt aus dem Nichts und verschwindet im Nirgendwo. Er ist hochintelligent. Er ist krank. Er ist ein wandelnder Albtraum, der auf einer FBI-internen Skala von 1 (Zufallsmörder) bis 25 (perverseste Bestie, die man sich vorstellen kann) den eigens für ihn geschaffenen Platz 26 belegt. Polizisten, die mit ihm zu tun hatten, sind durchgedreht oder tot.

Diesen Irren auf seinem Streifzug durch finsterste psychische Abgründe zu begleiten und mitzuverfolgen, wie Special Agent Steve Dark mit wachsender Verzweiflung und rapide sinkender Moral versucht, die Menschheit von diesem Übel zu befreien, ist eines der grössten Lesevergnügen, die ich in den letzten Jahren hatte (wobei: andere sind deutlich weniger begeistert). Autor Anthony Zuiker – der Schöpfer der „C.S.I.“-Krimis – schafft es in seinen zwei als „Digi-Novelle“ angelegten „Level 26“-Bänden, vom ersten Satz an eine kaum auszuhaltende Spannung aufzubauen, die erst dann langsam abbebt, wenn man die letzte Seite, viel zu früh, umgeblättert hat.

Genauso prickelnd ist eine Lektüre, die im Gegensatz zu „Level 26“ allerdings auf Tatsachen beruht. In dem über 1000 Seiten umfassenden Werk wimmelt es ebenfalls von Kriminellen die keine Skrupel kennen, und von Fahndern, die machtlos beobachten müssen, wie sich das Böse metastasenartig über Landstrassen und Berge und ganze Kontinente ausbreitet.

Die Hauptrollen spielen Leute, denen vor noch nicht allzulanger Zeit Millionen von Menschen – darunter auch unzählige Journalisten – jubelnd bei der Verrichtung ihres Tagwerks zugesehen hatten. Sie heissen Lance Armstrong, Jan Ullrich, Tyler Hamilton oder Jörg Jaksche. Danaben treten auf: Skrupellose Ärzte, geldgierige Unternehmer, verzweifelte Ehefrauen und enttäuschte Freunde.

Was die US-Antidoping-Agentur USADA über den siebenfachen Tour de France-Gewinner Lance Armstrong, dessen System und die (wie) vergiftet hinterhertrampende Konkurrenz zusammengetragen hat, ist atemberaubend. Wer einmal damit angefangen hat, sich durch den Wust von Dokumenten zu klicken, kann damit kaum mehr aufhören.

Am Ende steht fest: Die „Wunderleistungen“, mit denen Armstrong & Co. die Radfans, Medien und Sponsoren jahrelang verzückten, waren nicht in erster Linie speziellen Genen, aussergewöhnlichen Talenten und harten Trainings zu verdanken.

Sondern die bis in letzte Detail kalkulierten Resultate eines gigantischen chemischen Experiments, dessen Dimensionen selbst Insider verstummen liess:

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