Newsletteritis

Damals, als es noch keine Elektronik gab, machten die Leute mit Inseraten in Zeitungen auf ihre Waren und Dienstleistungen aufmerksam.

Noch viel früher eilten Meldeläufer barfuss durch die weiland (schönes Wort übrigens: „weiland„) nur spärlich besiedelten Lande, pochten an jede Tür und teilten dem Herrn oder der Dame des Hauses nach Luft japsend mit, am 6. Juno in exakt einem Dezennium würden AC/DC ihr Liedgut unplugged mit Harfe, Laute und Drehleier im Stadium Helveticum zu Brenodorum darbringen. Für dieses Spectaculum trage er in der Innentasche seines Wamses einen Posten Eintrittsschiefertäfelchen mit sich. Falls man an einem oder mehreren dieser Billete interessiert sei, soll man bitte subito kaufen; er wolle deswegen nicht extra noch einmal von Turicum nach Brunntrumdum hasten.

Es mochte Zufall gewesen sein oder auch nicht: Kaum konnte sich niemand mehr Anzeigen leisten und hatten die Gewerkschaften durchgestiert, dass Lehrlinge pro Arbeitstag nur noch höchstens 140 Kilometer rennen dürfen, wurde die Email erfunden. Seither verschicken Firmen, Kulturschaffende, soziale Einrichtungen, Vereine und so weiter in hoher Kadenz mehr oder weniger „persönlich“ gehaltene Briefe, um für sich zu werben.

In die Mailfächern rund um den Globus landen jeden Tag zig Schreiben von Haushaltgeräteherstellern, Potenzpillenverteilern, Verkupplungsagenturen (wobei: Vorletzere und Letztere arbeiten zusammen; jede Wette), Softwareentwicklern, Reiseveranstaltern, Waffenverkäufern, Friedensaposteln, Tierfutterproduzenten, Politikern oder Getränkehändlern.

(Bevor jetzt jemand erbost von seinem Sitz aufspringt und brüllt: „Mooo-ment! Du hast für deinen früheren Theaterverein doch auch Newsletter verschickt, und zwar nicht zu knapp?!?“, lege ich gerne offen, dass ich für meinen früheren Theaterverein auch Newsletter verschickt habe, und zwar nicht zu knapp. Aber das war etwas anderes.)

Das auf den ersten Blick beste an all diesen Mails ist: Man kann sie mit einem einzigen Klick auf einen kaum sichtbaren Link in einer unteren Ecke der letzten Seite abbstellen. Irgendwie habe ich jedoch das Gefühl, dass es sich dabei bloss um eine Proforma-Übung handelt. Eine echte Chance, dieser Epidemie Herr oder Frau zu werden, hat kein Mensch, der je von ihr befallen wurde.

Den schönsten Beleg für diese These lieferte mir neulich der Verlag, der die von mir ansonsten überaus geschätzte „Süddeutsche Zeitung“ samt ihren publizistischen Ablegern herausgibt. Kaum hatte ich dessen Newsletter zum grob geschätzt 6,26millionsten Mal unsubscribed, poppte auf meinem Bildschirm ein neues Fensterchen auf:

Ich schicke der „Süddeutschen“ und all den anderen Plaggeistern glaub mal einen Meldeläufer vorbei. Den gfürchigsten, dens für Geld zu haben gibt.

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