Notizen aus dem Morgenland (I)

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Ein grösserer Gegensatz ist kaum denkbar: Mitten in Maskat, hoch vom Minarett, ruft der Muezzin die Gläubigen zum Abendgebet. Drinnen, in der Hotellobby, singen amerikanische Kinder Weihnachtslieder unter einem riesigen Christbaum, dessen Lichter Minuten zuvor Greta C. Holtz, die US-Botschafterin im Oman, angeknipst hat.

Fundamentalismus? Terror? Krieg? Das alles scheint hier, im Oman, unendlich weit weg zu sein. Das ist umso bemerkenswerter, als das Sultanat nicht mit den umgänglichsten Nachbarn gesegnet ist, die sich friedliebende Menschen gemeinhin wünschen: Im Westen grenzt Oman an Saudi-Arabien und Jemen. Etwas weiter nördlich, gleich hinter dem Golf, breiten sich der Iran, Irak und Afghanistan aus.

„Wir wetteifern nicht mit anderen Nationen um die Grösse der Hotels und die Anzahl der Luxusläden“, sagt der Fahrer, der uns nach Mitternacht am Flughafen abholt, mit einem Blick auf die Protz- und Prunkmetropole Dubai, die ihm immer mehr vorkomme „wie Las Vegas“.

Oberstes Ziel der Omanis und ihrer Regierung sei vielmehr, dafür zu sorgen, dass sich die Einheimischen und ihre Gäste wohlfühlen und alle „in Frieden leben können“. Entsprechend gross geschrieben werde die gegenseitige Toleranz: „Alles – ausser Bikinis“ antwortet er auf die Frage nach der allgemein gültigen Kleiderordnung.

Die verschiedenen Religionen, die sich auf dem 300 000 Quadratkilometer grossen und grösstenteils von Sand bedeckten Flecken Erde tummeln, hätten untereinander keine Probleme. Staatsreligion sei zwar der Islam. Doch die Sunniten, Schiiten, Hindus und Christen, die zusammengenommen rund 10 Prozent er Bevölkerung ausmachen, könnten ihren Glauben leben, ohne Repressalien befürchten zu müssen.

„Leben und leben lassen“: Angesichts all der religiös motivierten Gräueltaten, die nicht nur, aber auch im Orient verübt wurden und nach wie vor werden, erhält diese abgedroschene Floskel hier auf einmal eine sehr reale Bedeutung.

Im Übrigen gebe es im Oman auch politisch keinen Grund zur Klage, versichert der Fahrer: Sultan Quabus, der das Land absolutistisch regiert, seit er 1970 seinen Vater vom Thron geputscht hat, sei ein „sehr guter Mann“, der sich um sein Volk kümmere. Er reise jedes Jahr durch das Land, um mit seinen Untergebenen zu reden, und sorge – zum Beispiel – dafür, dass jedermann von der Grundschule bis zum Universitätsabschluss eine kostenlose Ausbildung geniessen könne.

Ja, räumt er ein: Vor drei Jahren habe es auch in Oman Demonstrationen gegeben. Aber die hätten sich nicht gegen den Herrscher gerichtet, sondern gegen zwei, drei Minister.

Der Muezzin und die Kinder im Hotel sind verstummt. Was nachklingt, ist die Erkenntnis, dass ein friedliches Neben- und Miteinander der Kulturen kein Traum zu sein braucht. Hier, im Oman, ist die Vision eine Realität.

Die Frage ist, wie lange noch. Der 74jährige Sultan lässt ein nicht näher definiertes medizinisches Problem seit Monaten im Deutschland behandeln, und ob seine Nachfolge geregelt ist – und wenn ja: wie – ist unklar.

Aber mir wei nid grüble.

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