Notizen aus dem Morgenland (IV)

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Ein bisschen müde, aber um unzählige unvergessliche Eindrücke reicher, sind wir nach unserer Rundreise durch den Osten von Oman nun wieder in unserem Hotel in der Hauptstadt Maskat angekommen. 1500 Kilometer haben wir in den letzten vier Tagen mit Khalid, unserem Führer, in dessen Offroader zurückgelegt.

Wir rasten durch und schliefen in der Wüste, bummelten in den Bergen, gondelten durch Palmenwälder und schlenderten durch Wadis. Wir sahen tiefenentspannte Kamele, eine eierverbuddelnde Riesenschildkröte, grazile Gazellen, allerlei Vögel, Fische, räudige Hunde, streunende Katzen, freche Ziegen, einen Skorpion, einen Hasen, frischgefangene Haie, Dutzende von Moscheen in allen Formen und Grössen, alte Festungen, neue Siedlungen, traditionelle Märkte, moderne Shops und begegneten bei jedem Halt Menschen, deren Gastfreundschaft und ungekünstelte Herzlichkeit uns immer wieder aufs Neue erstaunte.

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Wir realisierten, wie sich dieses Land – wie wohl keine andere Nation im Orient – bemüht, seine jahrtausendealten religiösen und kulturellen Werte mit der westlichen Denkweise zu verbinden, stellten in Gesprächen mit Einheimischen und unserem Führer aber auch fest, dass some things vermutlich einfach never change. Oder anders gesagt: Die Prachtsfassade, die das Sultanat für seine Besucherinnen und Besucher in den letzten 40 Jahren hochgezogen hat, vermag der Rost der auf einem archaischen Weltbild fussenden Wirklichkeit nicht zu verdecken.

Frauen geniessen im Oman zwar deutlich mehr Freiheiten als in, sagen wir, Saudi-Arabien. Ihre Aufgabe besteht in den Augen der Männer jedoch nach wie vor darin, Nachwuchs zu gebären, sich um dessen Erziehung zu kümmern, am Herd zu stehen, das Heim sauber zu halten oder kurz: rund um die Uhr dafür zu sorgen, dass der Gatte auf sich selber fokussiert seinen eigenen Verpflichtungen und Freizeitbeschäftigungen nachgehen kann.

Ausserhalb der eigenen vier Wände haben die Frauen eher wenig zu suchen – auch dann nicht, wenn sie ihren Glauben leben wollen: Die Grosse Moschee von Maskat zum Beispiel bietet 7000 Männern Platz. Der Gebetsraum für Frauen fasst 700 Besucherinnen. In Restaurants sitzen praktisch ausschliesslich die Herren der Schöpfung. Betritt eine Frau den Raum, wird sie von Kopf bis Fuss gemustert wie ein neuentdecktes Insekt im Amazonasgebiet von gwundrigen Forschern.

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Manche der Spielregeln, nach denen das Leben im Oman funktioniert, sind für uns Westlerinnen und Westler – wenn überhaupt – nur schwer nachvollziehbar: Schwule werden von ihren Familien verstossen. Wenn der Erziehungsminister Millionen von Rial in die eigene Tasche abzweigt, verliert er zwar seinen Job. Das ertrogene Geld kann er aber, von der Justiz unbehelligt, behalten und in der Schweiz deponieren. Dafür wird gebüsst, wer in Maskat mit einem verschmutzten Auto unterwegs ist. Khalid wusste schon, wieso er seinen Wagen vor dem Ende unseres Trips in einem Flussbett notdürftig wusch (siehe Bild oben).

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Dank seiner Erdöl- und Gasreserven kann es sich der durch den betagten, kranken und sehr beliebten Sultan Kabuus verkörperte Staat leisten, seinen Bürgern die Steuern zu erlassen, ihnen die Schul- und Universitätsbesuche zu finanzieren und den wenigen wirklich Bedürftigen mehr als nur ansehnliche Sozialwohnungenhäuser zur Verfügung zu stellen. Arztbesuche und Spitalaufenthalte kosten symbolische 50 Rappen. Im Vergleich zum Rest der Welt ist das Benzin praktisch gratis.

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Doch obwohl sie – nach unseren Massstäben gemessen – mit guten Mittelstandslöhnen bezahlt werden und so gut wie nichts von dem, was sie verdienen, an den Staat oder soziale Institutionen abliefern müssen, verlangen vor allem jüngere Omanis mehr Geld von ihren Arbeitgebern. Erste Streiks haben bereits stattgefunden. Der Sultan hat darauf reagiert, indem er die Löhne erhöhen liess. Damit brachte er die Proteste fürs Erste, aber kaum endgültig, zum Verstummen, „Die Jungen können sich besser informieren als früher. Sie wissen, was ausserhalb dieses Landes läuft. Sie sind nicht dumm. Und sie kommunizieren ständig miteinander“, sagt Khalid, unser Fahrer. Das Ansehen des Sultans schwinde, je mehr die Leute um ihre Jobs und die damit verbundenen Annehmlichkeiten bangen müssten.

Mit der besonders in vom Islam geprägten Ländern gerne gepredigten Toleranz verhält es sich im Oman offensichtlich nicht anders als anderswo: Sobald es um das eigene Wohlbefinden geht, ist das mit der Nächstenliebe nur noch peripher von Belang. Hunderttausende von Indern, die auf der Suche nach Arbeit in den Oman eingewandert sind, können davon ein trauriges Lied singen: Sie werden hier bestenfalls belächelt und schlimmstenfalls verachtet. Hätte „das Volk“ das Sagen: Sie müssten das Land eher gestern als erst heute verlassen.

Der Oman, den ich vor zehn Jahren kennenlernen durfte, hat sich auch in anderer Hinsicht verändert. Er ist immer noch ein sagenhaft schönes Land mit einem unermesslichen Reichtum an natürlichen, historischen und kulturellen Schätzen. Doch da und dort klaffen inzwischen erste Risse: Wo soeben noch weites Land war, stehen heute Hotelkomplexe und Werkshallen. Wo damals Sand lag, ist heute Asphalt. Die Tourismusindustrie blüht: In der Wüste reiht sich ein Camp an das nächste. Neue Kundschaft wird mehrmals pro Woche mit gigantischen Kreuzfahrtschiffen in den Hafen von Maskat geliefert und von dort aus einen Tag lang mit Bussen durch die Gegend gekarrt.

Es war mir ein grosses Anliegen, meiner Frau dieses Land zu zeigen, bevor es komplett vermacdonalisiert ist. Das ist mir – hoffe ich zumindest – gelungen. Doch irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass wir dafür gerade noch den richtigen Zeitpunkt erwischt haben.

Nach allem, was ich in den vergangenen Tagen gesehen und gehört habe, kann ich mir nicht vorstellen, in zehn Jahren noch einmal in den Oman zu reisen. Das Land entwickelt sich irgendwie in die falsche Richtung. Wo Fortschritt angesagt wäre, herrscht Stillstand. Und wo fortgeschritten wird, wäre Stillstand angesagt – oder zumindest ein wenig Besinnung auf das letztlich Wesentliche.

Wobei: Was „wesentlich“ ist, muss und darf ja jeder und jede für sich selber entscheiden. Für meinen Schatz und mich zählt in der zweiten Hälfte unserer Oman-Ferien vor allem eines: Entspannung. Die kommenden Tage verbringen wir mit Nichtstun an der Sonne, am Pool, im Souk und – aber klar doch! – in schmucken Beizchen.

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