Der ewige Sucher

„Da sitzt du mit ein paar Leuten zusammen, spielst deine Songs und denkst: Es gibt nichts Grösseres als dieses Gefühl. Da kommt dieser Moment, wo du merkst, dass du tatsächlich gerade ein bisschen von der Erde abhebst und dass dir niemand was anhaben kann. Du bist einfach high, weil du da mit einer Handvoll Typen zusammen bist, die genau dasselbe wollen wie du. Und wenn das funktioniert, dann wachsen dir Flügel. Du weisst, dass du an einem Ort warst, wo die meisten Leute nie hinkommen werden; an einem ganz besonderen Ort.

Bloss: dann musst du wieder zurück auf den Boden, und wenn du dort landest, wirst du verhaftet. Trotzdem willst du immer wieder hoch. Das ist wie Fliegen ohne Pilotenschein.“

Mit diesen Worten beschreibt Keith Richards das Gefühl, seit vier Jahrzehnten in einer der grössten Rockbands der Welt mitzuspielen. In seiner Autobiographie

„Life“

erlaubt der Gitarrist der Rolling Stones tiefe – und ganz und gar ungeschönte – Einblicke in seine Gedanken- und Gefühlswelten. Und beantwortet, fast nebenbei, auch die Frage, was ihn nach all den Jahren und mit all den Millionen auf dem Konto immer noch antreibt, mehr oder weniger regelmässig ins Studio zu gehen und rund um den Globus zu touren: „Ich tu es nicht einfach des Geldes wegen. Ich tu es nicht für euch. Ich tu es für mich.“

Sex & Drugs & Rock’n’Roll: Nur wenige Menschen verkörpern dieses Motto wie Keith Richards. Dass er seine unzähligen Alkoholexzesse und Drogenabstürze überlebt hat, schreibt er einerseits dem Umstand zu, dass er immer peinlich darauf geachtet habe, nur saubersten Stoff zu schnupfen, drücken und schlucken.

Zweitens- oder erstens – sei ihm auch in den dunkelsten Momenten immer bewusst gewesen, dass irgendwo eine Linie sei, hinter der es kein Zurück mehr gebe in jenes Leben, das für ihn das reale ist: jenes, in der er als ernstzunehmender Musiker gilt. Und jenes, in dem er sich liebevoll und völlig selbstlos um seine Familie und echten Freunde kümmert. Sobald diese dünne Linie in Sichtnähe kam, trat Richards im letzten Moment, aber nie zu spät, auf die Bremse.

„Life“ ist nicht „nur“ ein Buch für Rock-Enthusiasten. Es zeichnet ein Bild des gesellschaftlichen, politischen und musikalischen Wandels, den Europa – und die Vereinigten Staaten – seit Mitte des letzten Jahrhundertes durchgemacht haben.

Abgesehen davon kommen bei der Lektüre auch die Freunde des englischen Humors voll auf ihre Kosten. Wie Richards erzählt, wie er in einem Studio in Kanada – wo er wegen diverser Drogenvergehen polizeilich gesucht wurde – unter dem Mischpult einschlief und beim Erwachen bemerkte, dass der Raum inzwischen von der örtlichen Polizeimusik belegt war, die an diesem Tag eine Platte aufnehmen wollte: das könnte ebensogut in einem Drehbuch zu einer schwarzen Filmkomödie stehen wie in der Lebensgeschichte eines mit allen legalen und illegalen Wassern gewaschenen Mozart-Liebhabers, der beim Antrittsbesuch bei den Eltern seiner Freundin wutentbrannt eine Gitarre durchs Esszimmer schleudert, anderntags merkt, dass er sich nicht comme il faut benommen hatte und sich dann fast hintersinnt, wie er den Schaden wieder gutmachen könnte.

Und der sich 20 Jahre lang davor fürchtet, Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen, weil er glaubt, dass dieser von seinem Sohn nichts mehr wissen will. „Waffen, Drogen, Verhaftungen – bestimmt schämte er sich in Grund und Boden. Ich hatte ihn erniedrigt, restlos enttäuscht“, schreibt Richards. Doch dann: treffen sich die beiden, trinken miteinander zwei, drei Gläser – und sind, als sie die Beiz verlassen, die dicksten Freunde.

Wenige Menschen dürften so oft zwischen dem Himmel und der Hölle hin- und hergependelt sein wie Keith Richards auf seiner endlosen Suche nach dem nächsten Kick und dem ultimativen Song. Entsprechend hat das Ur-Gestein sehr klare Vorstellungen von den Daseins-Alternativen nach dem allerletzten Akkord:

„Ich glaube, Himmel und Hölle sind ein und dasselbe, nur, dass im Himmel alle Wünsche in Erfüllung gehen. Man sieht Mama und Papa wieder und alle guten Freunde, alle umarmen sich und küssen sich und klimpern auf ihren Harfen. Die Hölle ist derselbe Ort – kein Fegefeuer oder so – nur, dass du unsichtbar bist. Die anderen laufen an dir vorbei, keiner erkennt dich. Du hockst mit deiner Harfe auf einer Wolke, kannst aber mit niemandem spielen, weil dich niemand sieht. Das ist die Hölle.“

Kein Zweifel: Echte Satisfaction gibts für Keith Richards dereinst nur im Himmel. Auch das dürfte für Leute, die „Life“ nicht – oder noch nicht – gelesen haben, eine ziemlich überraschende Erkenntnis sein.

Von Monster zu Monster

Vor ziemlich genau einem Jahr widmete sich das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in einer langen, langen Titelgeschichte dem Phänomen Google. Wortreich schürten die Autoren allerlei diffuse – und zum Teil auch zweifellos berechtigte – Ängste. Google sammle „alles über uns“, behauptete der „Spiegel“, und rief panisch das „Ende der Privatheit“ aus.

Für Stammleser kam diese Warnung nicht überraschend: Wenige Wochen, bevor der „Spiegel“ es sich zur Aufgabe machte, die Leser seiner Printausgabe über dieses allwissende Monster im Netz ins Bild zu setzen, schwadronierte ein Kommentator auf „Spiegel online“, Google wolle „die Weltherrschaft“ an sich reissen.

Das Zähneklappern war im deutschsprachigen Raum noch nicht verklungen, als sich der „Spiegel“ diese Woche erneut mit einem Internet-Giganten beschäftigte. Thema war allerdings nicht – was naheliegend gewesen wäre – das Online-Lexikon Wikipedia, das in diesen Tagen seinen zehnten Geburtstag feiert, sondern „Facebook & Co.“.

Wenig überraschend malt der „Spiegel“ seine datenschutztechnischen Endzeitvisionen auf einer Grundierung, die mit jener des apokalyptischen Google-Bildes praktisch identisch ist. Belege? Fehlanzeige. Die Verfasser räumen selber ein, dass „echte Schurkereien bislang nur vereinzelt vorkommen“; „zermürbend“ wirke „vor allem der Normalfall“.

Zermürbend für wen? Für jene, die mit vorgehaltener Pistole dazu gezwungen werden, bei Facebook ein Konto anzulegen? Oder für jene, die zuschauen müssen, wie die Leser von morgen ins Internet davonlaufen?

Wer sich durch den Wust aus Halbwahrheiten und Vermutungen kämpft, kommt trotzdem oder gerade deshalb zum Schluss: etwas Gefährlicheres als Facebook (und, eben: Google) hat die Menschheit noch nicht gesehen. Indem die Leute ihren Freunden auf Facebook arglos mitteilen, dass sie am 4. Februar das „Halunke„-Konzert im Badener „Nordportal“ besuchen oder sich bei Google nach dem aktuellen Regierungschef von Tunesien erkundigen, füttern sie nichts ahnend Ungeheuer, die sie in absehbarer Zeit bis auf das letzte Tröpfchen Privatsphäre ausgesaugt haben werden.

„Die Unersättlichen“ nennt der „Spiegel“ Facebook und Google und artverwandte Internet-Unternehmen mit unverholener Empörung darüber, mit diesen Nutzer-Daten „Milliarden-Geschäfte“ zu betreiben.

Doch darüber, dass der „Spiegel“ – wie alle anderen Verlage auch – seinerseits sehr scharf auf die werberelevanten privaten Daten seiner Kundschaft ist und nichts unversucht lässt, um an diese Angaben zu kommen, steht weder in der Google- noch in der Facebook-Story auch nur ein Wort.

Die für die Datenjagd nötige Falle stellte der Verlag im selben Heft auf; gleich hinter der Geschichte über das böse Facebook:

Noch kein Termin; sorry.

Zuohren all jener, die sich seit dem 3. Januar mit schöner Regelmässigkeit danach erkundigen, wann wir es tun:

Wir tuns nicht im Frühling und wir tuns nicht im Sommer. Vielleicht tun wirs im Herbst – und vielleicht tun wirs erst nächstes Jahr. Tun tun wirs sicher (zumindest gehe ich davon aus). Vorher müssen wir einfach noch ein paar…nun ja:…Dinge regeln. Wenn wir es dann tun, oder vielmehr: bevor wir es tun, geben wir euch bestimmt Bescheid. Immerhin fehlen uns noch ein einige Sachen für die gemeinsame Wohnung. Und verreist sind wir jetzt auch schon seit einem geraumen Weilchen nicht mehr.

Wir freuen uns ehrlich und aufrichtig über euer Interesse. Wir hätten nie gedacht, dass das für unsere Verwandten, Bekannten und sonstwie Zugewandten so eine Sache sein würde; vor allem deshalb nicht, weil wir uns so grosse Mühe gemacht haben, es geheim zu halten. Aber eben: Neues gibts zum Thema beim besten Willen nicht zu berichten.