Freunde und Phantome

„Manche schreiben ab.

Manche schreiben zu.

Manche schreiben ab und zu.“

(Polo Hofer)

Bei Facebook habe ich rund 150 Freunde. Damit kann und will ich nicht angeben. Meine Schwägerin in spe zum Beispiel hat über 5000.

Diese Freunde haben sich, vermute ich, alle einmal in diesem Netzwerk angemeldet, um Bekanntschaften zu knüpfen und intensivieren oder um mehr oder weniger Geistreiches oder Bilder oder was auch immer auszutauschen.

Doch von den 150 Leuten habe ich vielleicht mit drei Dutzend mehr oder weniger regelmässig Kontakt. Wobei: „Kontakt“ ist oft sehr viel gesagt. Wenn Lucia schreibt, dass sie ans Konzert von Dada ante portas gehe klicke ich bloss „gefällt mir“ an – und fertig. Manchmal notiere ich meinerseits etwas, das von anderen nur mit einem „Viel Spass!“ oder „Jööö“ oder überhaupt nicht quittiert wird.

Aber immerhin weiss man: die Leute sind da, lesen mit und nehmen in irgendeiner Form Anteil am Leben der anderen.

Dank Facebook weiss ich, dass Remo in diesem Moment „SF bi de Lüüt“ schaut, dass Nicole in Ecuador schlottert, dass Teddy ein Guns’n’Roses-Ticket loswerden möchte, dass Yoli wieder Single ist oder dass mein Brüetsch im Casino gewonnen hat. Ich weiss, dass mein Schatz den Feierabend herbeisehnt, freue mich Christian und Anja Häni über das erste Album der „Halunke“ (kaufen!), lache über die Sammelfreude meiner Cousine und bewundere das Familienmanagement ihrer Schwester, staune über die musikalischen Kleinode, die Thomas mit schöner Regelmässigkeit ins Netz stellt und ärgere mich ein klein wenig darüber, dass ich es nicht geschafft habe, meinen Vornamensvetter und die Ausstellung in seinem Uetendorf zu besuchen.

Vom grössten Teil meiner anderen Freunde und „Freunde“ lese ich allerdings nie etwas. Sie sind zwar anwesend, aber nicht da. Sie bleiben im Hintergrund – und ich habe keine Ahnung, was sie in den dunklen Kulissen treiben.

120 Menschen ganz in der Nähe zu wissen, die theoretisch rund um die Uhr verfolgen können, wo man is(s)t, was man so macht, wie man über dieses oder jenes Thema denkt oder, ganz einfach: wies einem gerade geht: das ist, irgendwie, ein gspässiges Gefühl.

Also, ihr Phantome: Meldet euch. Werdet chli akiv. Bei Facebook eine Statusmeldung zu verfassen, ist kein Kunststück und tut nicht weh. Wir beissen nur selten und wenn, dann direkt; per persönlicher Nachricht. Ihr braucht keinen Roman zu zu schreiben; es genügt vollauf, wenn ihr eure Freunde wissen lasst, dass ihr heute Abend den „Tatort“ guckt.

Natürlich erhält ihr nicht sofort lawinenartig Leserreaktionen. Aber mit dem einen und anderen „gefällt mir“ oder einem kurzen Grüessili könnt ihr schon rechnen. Ihr werdet sehen: nur schon das macht bisweilen ziemlich viel Spass.

Die Cousine mit den Millionenverkäufen

Bis vor zwei Tagen wusste ich nichts von einer BJ Caruana. Hätte mir jemand diesen Begriff genannt, hätte ich auf ein sehr süsses alkoholisches Getränk getippt, das aufgestellte junge Leute auf weissen Stränden hektoliterweise wegputzen; ämu in der Werbung.

Dann lernte ich: Die nicht unbedingt unansehnliche Dame heisst eigentlich Rebecca Caruana Bryant, lebt in Sydney, macht leicht tanzbare Musik, steht auf Prince, Kylie Minogue, Madonna und Stevie Wonder…und hat in ihrem jungen Leben schon 1,7 Millionen Tonträger verkauft. Die Liebe zu Melodien, sagt BJ Caruna, habe sie schon als Kind ausleben dürfen, wenn sie jeweils bei ihrer Grossmutter Klavier spielte. Im zarten Alter von 13 Jahren gab sie ihr erstes Konzert. Seither…nun: gehts offenbar stetig aufwärts. 30 Songs hat sie bereits geschrieben. Ihre Verwandten sagen, sie sei „eine Bitch“. Dazu muss man wissen: Wer Heidi Hugelshofer am UBS-Schalter eine „Bitch“ nennt, wird von ihr kaum mit der grösstdenkbaren Zuvorkommenheit bedient. In BJ Caruanas Kreisen hingegen ist „Bitch“ ein kaum zu überbietendes Kompliment.

Die Grossmutter mit dem Klavier: das war die Lebenspartnerin von Chantals Grossvater. Das heisst: BJ Caruana ist Chantals Cousine.

Das kann ja heiter werden, in drei Monaten, da unten.

Ein bisschen Spanien

Weil wir nicht immer nur Fleisch bräteln mögen, machten Chantal und ich für unseren Besuch gestern eine Paella. Das schöne an diesem Gericht ist, unter anderem: Wer gerne Zutaten schnippelt, kommt voll auf seine Kosten.

Mehr als eine grosse Brat- und eine Wasserpfanne braucht man dafür nicht. Als Zutaten empfehlen sich:

– 1 rote und eine gelbe Peperoni oder Paprika
– 4 Pouletschenkel
– 600 g Fleischtomaten
– 1 große Gemüsezwiebel
– 5 Knoblauchzehen
– 300 g Erbsen
– 4 Pouletbeine
– 250 g Schweinefleisch
– 400 g Miesmuscheln
– einen halben Tintenfisch
– 4 große, rohe, ungeschälte Garnelen
– 8 EL Olivenöl
– 250 g Safran
– mildes Paprikapulver
– 750 ml Fleisch- oder Hühnerbouillon
– 500 g Rundkornreis
– 1 Zitrone
– Wasser
– schwarzer Pfeffer
– Salz

Wenn man das alles hat, kanns mit dem Kochen losgehen. Dafür benötigt man, wenn mans chli gemütlich nimmt, ungefähr zwei Stunden:

– Peperoni- oder Paprikaschoten 20 Min. bei 250 Grad in den Ofen legen und ab und zu wenden, bis die Haut braun wird. Dann häuten, Kernhaus entnehmen und in schmale Streifen schneiden
– Pouletschenkel  anbraten
– Backofen auf 180 °C herunterschalten
– Pouletschenkel in den Ofen
– Paella-Pfanne anheizen
– Wasser erhitzen und die Tomaten 2 bis 3 Minuten reinlegen, häuten, quer halbieren, Stielansatz und Kerngehäuse entfernen, grob hacken
– Zwiebel und Knoblauch schälen und fein hacken
– Erbsen aus der Büchse abspülen und abtropfen lassen
– Muscheln im heißen Wasser kochen, bis sie sich öffnen; Muscheln, die sich nicht öffnen, sind ungenießbar.
– Muscheln abschütten (und 7 dl des Kochwassers aufbewahren)
– Pouletfleisch in Würfel schneiden
– Schweinefleisch in Würfel schneiden
. Tintenfischarme in 1 cm dicke Stücke schneiden
– Garnelen abspülen
– Olivenöl in der Pfanne stark erhitzen und die Pouletstücke darin von allen Seiten anbraten ; mit Salz und Pfeffer würzen. Beim Herausnehmen abtropfen lassen
– Mit den Fleischwürfeln ebenso verfahren
– Garnelen anbraten, bis sie eine rote Farbe haben
– Tintenfischteile kurz andünsten
– Fleisch, Garnelen, Poulet und Tintenfisch im Ofen bei 150 Grad warmstellen
– Im restlichen Bratfett Zwiebel und Knoblauch glasig dünsten, Tomaten und Erbsen hinzu geben und 5 Minuten dünsten
– Safran und Paprikapulver dazu geben, mit Salz und Pfeffer kräftigwürzen.
– Fleischbouillon mit etwa 500 ml des Muschelwassers zusammen aufkochen
– Reis zu den Zutaten in der Pfanne geben.
– Kochenden Bouillon-/Muschelsud darüber gießen und etwa 25 Minuten köcheln, bis der Reis fast alle Flüssigkeit aufgenommen hat
– Peperoni- oder Paprikascheiben druntuntermischen
– Abschmecken und nachwürzen
– Pouletstücke, Fleischwürfel, Muscheln, Garnelen und den Tintenfisch auf dem Reis anrichten oder druntermischen.
– Pouletschenkel drauflegen
– Die Pfanne mit Alufolie abdecken und im vorgeheizten Backofen bei mittlerer Hitze 15 Minuten ziehen lassen.

Paella in der Pfanne auf den Tisch stellen.

E Guete!

Unter Kampfmüttern

Ich klaue ja selten Texte. Aber was Reinhard Mohr in seinem neuen Buch „Meide deinen Nächsten“ über moderne Mütter schreibt, kann und will ich der Leserschaft dieses Blogs nicht vorenthalten:

Das Kind schreit. Es schreit so laut und durchdringend, dass hier und da die Fenster zur Straße aufgehen. Man schaut vom Balkon im dritten Stock herunter und sieht einen kleinen Jungen, der partout nicht nach Hause will. Es ist ein schöner Sommernachmittag, und er will einfach nicht nach Hause. Die Mutter hat ihr Fahrrad mit dem obligatorischen Kindersitz abgestellt und redet auf den Vier- oder Fünfjährigen ein.

Von oben kann man ihre Worte nicht hören, aber sie scheint es mit allen rhetorischen Tricks der Kleinkind-Überwältigung zu versuchen. Nur die Worte „Ich muss jetzt nach Hause“ oder „Wir müssen jetzt nach Hause“ sind zu vernehmen. Der Effekt der dringlichen Ansprache ist niederschmetternd gering. Der Junge schreit weiter. Mehr noch: Jede neue Ermahnung, jedes neue Bitten und Flehen macht ihn nur noch wütender. Er wirft sich aufs Trottoir und schreit weiter. Dabei trommelt er mit seinen kleinen Händen auf die Steinplatten. Die Mutter ist ratlos. Plötzlich fällt ihr Trick 17 ein: Sie nimmt ihr Rad und geht einfach schon mal los. „Dann geh ich jetzt einfach los!“, sagt sie ihrem Kind. Nach zwanzig Metern hält sie an. Das Kind kommt natürlich nicht nach, sondern schreit weiter. Die Methode hat also nicht funktioniert. Das Schreien des Kindes, ein in dieser Straße wahrhaft nicht unübliches Alltagsgeräusch, nimmt immer dramatischere Züge an, während die Hilflosigkeit der Mutter von Sekunde zu Sekunde wächst.

Bei dem warmen Sommerwetter sind viele Menschen draußen unterwegs, und die ersten Touristen sehen sich schon gezwungen, über den am Boden liegenden Jungen zu steigen. Niemand scheint sich zu wundern, und natürlich greift niemand ein. Das hier ist reine Muttersache.

Plötzlich hat die Mutter eine Eingebung. Sie setzt sich auf den Gartenstuhl eines Lokals, öffnet ihren Rucksack und holt die „taz“ heraus. Nun liest sie erst mal schön Zeitung. Wolln doch mal sehen. Soll der Junge doch merken, dass Mutter jede Menge Zeit hat und sich die Laune nicht verderben lässt. Schade nur, dass sie gerade eben noch das Gegenteil signalisiert hat. Die Supernanny von RTL würde hier von einer „fatal ambivalenten“, das heißt letztlich verwirrend inkonsequenten Botschaft sprechen.

Eiskugeln für Björn-Ole

Das kluge Kind hat das natürlich längst begriffen und schreit weiter, während es sich auf der Steinplatte herumwälzt, mit dem Gesicht nach unten. Inzwischen sind schon an die zehn Minuten vergangen – für die Augen- und Ohrenzeugen mindestens eine gefühlte Ewigkeit. Touristen steigen noch immer über das Kind, und die Mutter liest weiter die „taz“.

Irgendwann wird es ihr aber doch unheimlich. Das raffinierte Ablenkungsmanöver hat nicht geklappt, die Sache droht, aus dem Ruder zu laufen. Sie geht noch einmal zurück zu ihrem schreienden Kind auf dem Trottoir. Noch einmal fallen dramatische Worte, unterstützt von dramatischen Gesten. Und dann tut die Mutter etwas Ungeheuerliches, gänzlich Unerwartetes: Sie übt unmittelbare körperliche Gewalt aus. Entschlossen greift sie die rechte Hand des Jungen und zieht ihn hoch. Mit einem kräftigen Ruck nimmt sie ihn auf den Arm und verfrachtet ihn unter letzten Anstrengungen auf den wackligen Kindersitz. Die „taz“ ist wieder im Rucksack verstaut, und so kann es endlich losgehen, ab nach Hause. Mit jedem Meter verweht das Schreien ein bisschen mehr. Dann hört man nichts mehr.

Es versteht sich, dass in die Sekunden lang aufkommende Stille sofort neue akustische Akzente dringen, die zum Beispiel von offenen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mutter und Kind über die Frage künden, wie viele Eiskugeln für Björn-Ole angemessen sind: „Viiiiiier. Du hast es versprocheeeen!!! Viiiier!“

Kampfgeschwader des Familienglücks

Der Trend, die Erziehung der Kinder weitgehend in die Öffentlichkeit zu verlegen, bringt noch viele andere Erlebnisse hervor, an denen die Nachbarschaft im Umkreis mehrerer hundert Meter teilhaben darf, ob im Restaurant oder im Weinladen, im Park oder auf dem Markt.

Schon am frühen Morgen setzen sich massenhaft technologisch hochgerüstete Kinderwagen in Bewegung – eine luxuriöse Kampfgeschwaderformation des kollektiven Familienglücks auf dem Marsch zur Kinderkrippe. Hier und da dröhnen knallrote Bobbycars übers teure Pflaster, in denen Max, Rudolf und Lasse erste Erfahrungen für spätere Karriereschritte in der Formel 1 sammeln.

Brrrmmm, brrmmm, brrrrmmmm.

Eine knappe Stunde später schon sind die schicken Cafés im Osten Berlins voll von Mitte-Muttis und „Prenzlberg“-Promis und geben den Blick frei auf das Erste Gesetz von „Pregnancy Hill“: Wer hier nicht schwanger ist oder es werden will oder in Partnerschaft mit einer Schwangeren lebt, eine solche Partnerschaft zumindest anstrebt oder wenigstens vorgibt, sie anzustreben, ist den Latte Macchiato nicht wert, der auf seinem wackeligen Cafétischlein kalt wird.

„Würdest du dich hier wohlfühlen, Alexander?“

Hier ist Kinderlärm Zukunftsmusik und aufgeschäumte Milch das Manna des Bionade-Universums, in dem praktisch alles „bio“ ist – selbst der schwarze BMW X3 und all die anderen coolen Offroader, mit deren Hilfe die Biokartoffeln und Ökokarotten aus der „LPG“ ins durchgestylte Heim gekarrt werden.

Die Mutter ist hier keine Matrone mehr, sondern ein Model. Ein Role Model, das Tag für Tag daran arbeitet, das eigene Lebensumfeld strengsten Life-Design-Vorgaben anzupassen.

Sie sieht gut aus und hat ihre schlanke Figur schon wenige Wochen nach der Geburt wiedererlangt. Sie hat einen tollen, beinah ebenso attraktiven, gut verdienenden Mann und betrachtet ihr Kind als ambitioniertes Projekt im harten internationalen Wettbewerb. Das heißt vor allem Bildung, Bildung, Bildung, und immer an das Outfit denken.

Früh schon lernt der kleine Marc, das richtige Brot fürs Wochenende auszusuchen, wenn er aus seinem geländegängigen „Quinny Sportwagen Speedi bordeauxrot“ oder dem „TFK Joggster III carbo/diesel“ geholt und auf die Kundentheke gestellt wird.

Zur Wohnungsbesichtigung wird er selbstverständlich als gleichberechtigter Immobilienexperte mitgenommen. Erfahrene Maklerinnen wissen zu berichten, dass auch hier die letzte Entscheidung über den Abschluss eines Mietvertrags gerne dem Vierjährigen überlassen wird: „Würdest du dich denn hier wohlfühlen, Alexander?“

Naomi Campbell des Kindkaisertums

Kurz darauf testet der Kleine schon mal seine Standfestigkeit auf der Balkonbrüstung. Die Mutter ist derweil so intensiv mit der gedanklichen Einrichtung des Kinderzimmers beschäftigt, dass sie es der Maklerin überlässt, das hochbegabte Kind vor dem Sturz aus dem vierten Stock zu retten.

Abends im Restaurant ist die Mutter dann wieder ganz Ohr und Auge, wenn Marc, Alexander oder Frederic noch gegen 22.30 Uhr auf einer Portion Tiramisu besteht. Schon bei Jacques‘ Weindepot am frühen Abend wollte der Kleine keinesfalls darauf verzichten, den schweren Vacqueyras (Appellation Côte du Rhône Contrôlée) mit seiner traditionellen Mischung aus Grenache, Mourvèdre und Syrah zu probieren.

Auch wenn die darauffolgenden harten Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Kind den einen oder anderen Kunden irritieren mochten, es bleibt dabei: Wir haben die Welt und damit auch die Weinberge von unseren Kindern nur geliehen!

Wer hier anderer Meinung sein sollte und womöglich halblaut vor sich hin murmelt, dass eine Weinhandlung nicht eben der ureigenste Aufenthaltsort für Kleinkinder ist, bekommt die ganze Verve der modernen Kampfmutter zu spüren.

Im Handumdrehen wird sie zur Naomi Campbell des Kindkaisertums und schmettert dem verunsicherten Weinliebhaber entgegen: „Haben Sie was gegen Kinder?!“

Dann, aber erst dann, herrscht Ruhe im Objekt.