„Schon gut“, sagt Max

Mit der Kultur hat es Max Mächler nicht so. Kultur – das ist für ihn, wenn reiche Leute in schicken Kleidern herumstehen, wichtig tun und mit Weissweingläsern in der Hand und salzigen Nüsschen im Mund über Dinge reden, die er nicht versteht.

Trotzdem wird Max Mächler seine Frau heute Abend an diese Lesung nach Burgdorf begleiten. Viele Alternativen gab es für ihn nicht. Beim Mittagessen hatte ihm Jana zig einsame Nächte auf dem Sofa in Aussicht gestellt für den Fall, dass er nicht mitkommen würde. „Schon gut, schon gut“, hatte Max schicksalsergeben gebrummt und gehofft, damit wäre die Sache erledigt.

Er wollte gerade den nächsten Brocken Brot in die dampfende Tomatensuppe tunken, als er fühlte, wie die Temperatur in der Küche um 20 Grad fiel. Überrascht hob er den Blick vom Teller – und sah, wie sich Jana kopfschüttelnd von ihrem Stuhl am anderen Tischende erhob. Eine Sekunde später stand sie vor ihm. Sie beugte sich zu ihm herunter, richtete ihre hellblauen Augen direkt auf die seinen und flüsterte, sie habe sein ewiges „schon gut, schon gut“ jetzt endgültig satt.

Max hörte noch, wie eine warnende Stimme in seinem Hinterkopf sagte, „Pass auf! Das war noch nicht…“ – dann brach das Gewitter, das sich in der Seele seiner Frau über eine lange, lange Zeit hinweg aufgestaut haben musste, mit aller Gewalt über ihn herein.

Wenn er, Max Mächler, vorhabe, den Rest seines Lebens in der ‚Krone‘ und auf dem Sofa zu verbringen, werde sie ihn ganz bestimmt nicht daran hindern, zischte Jana. Nur: Dann sei sie schneller wieder in Kiew, als er ‚Papp‘ sagen könne. Um einem alten Mann beim Totschlagen der Zeit zuzusehen, habe sie ihr Studium nicht abgebrochen.

Und überhaupt: Wo zum Teufel eigentlich jener Max sei, der ihr damals geschrieben hatte, er sei „sehr humorvoll“ und „kontaktfreudig“ und liebe nichts mehr als „ausgedehnte Wanderungen durch mein schönes Emmental“. Falls es diesen Max gebe, würde sie sich sehr freuen, ihn endlich zu treffen. Denn – und jetzt flüsterte Jana nicht mehr. Jetzt brüllte sie. – der Max, den sie kenne, sei „ein nichtsnutziger, langweiliger und fauler Sack“, der nichts anderes im Kopf habe als seine verdammte Beiz und seine idiotischen Kumpels und seinen beschissenen Fernseher.

Mit diesen Worten verschwand Jana vor einer Stunde im Bad. Der letzte Laut im Haus war der Knall, mit dem die Türe hinter ihr ins Schloss krachte. Nun ist es totenstill. Max hockt regungslos am Tisch und schaut der Suppe beim Kaltwerden zu.

In dem Moment, in dem er sich zu fragen beginnt, ob Jana wohl ohne ihn gegangen sei, und er darüber nachdenkt, ob das für ihn eher gut oder schlecht wäre, hört er aus dem Schlafzimmer das leise Klappern von Kleiderbügeln. Seine Frau scheint in dem monströsen Holzschrank, den er vor ihrem Einzug extra für sie abgeschliffen und mit fröhlichen Farben bemalt hatte, nach etwas zu suchen, was zu dieser Kultursache in Burgdorf passt. Max glaubt seine zweite Frau inzwischen gut genug zu kennen, um mit sich selber risikolos eine kleine Wette abschliessen zu können: Rote Bluse, schwarzer Rock, hautfarbene Strumpfhosen, flache Schuhe. Wenn nicht, würde er morgen den Rasen mähen. Den ganzen, nicht nur das kleine Stück vor der Terrasse.

„Und?“, fragt Jana, als sie in roten Stilettos und einem weissen Hauch von Nichts vor ihm steht. Max trifft beinahe der Schlag. Diese Kombination hatte sie bisher nur einmal getragen: An ihrem ersten gemeinsamen Abend. Als sie endlich miteinander in seinem – und ihrem – Zuhause waren. In jenen Stunden, in denen es Max vor lauter Freude darüber, dass sich der ganze Aufwand mit dem Internet und der Botschaft und allem offensichtlich gelohnt hatte, fast gelungen wäre, Rosmarie zu vergessen.

„So willst du in die Stadt?“, fragt Max entgeistert.

„Natürlich“, sagt Jana. „Wieso? Ist damit irgendetwas nicht in Ordnung?“

„Nein, nein“, sagt Max. „Schon gut.“

So beginnt der Krimi, den ich gerade für den dritten Band der „Mordsgeschichten aus dem Emmental“ schreibe. Mehr verrate ich nicht.

Nur soviel noch: Auch wenn einem Max vielleicht chli sympathisch geworden ist – ich rate davon ab, sich allzu eng mit ihm anzufreunden. Er weilt nicht mehr lange unter uns (das heisst: Doch. Unter uns ist er schon. Aber in einem Zustand, in dem er selbst dann nicht viel unternehmen könnte, wenn er zur Abwechslung einmal etwas unternehmen möchte).

Ursprünglich hatte ich für meine dritte Mordsgeschichte drei Themen im Kopf: Ein toter Besucher an einer Lesung, eine Leiche in einem Verein und das unhappy Ending einer Geschäftsbeziehung zwischen einer Autorin und einem Verleger. Um herauszufinden, was die Leute – die die Krimisammlung dereinst hoffentlich stapelweise kaufen – lesen wollen, liess ich die Besucherinnen und Besucher dieses Blogs darüber abstimmen, welchen Krimi ich schreiben soll. Und siehe da: Jeder Vorschlag vereinigte zwei Stimmen auf sich.

Deshalb hats mit dem Auszählen auch länger gedauert als geplant. Und deshalb habe ich jetzt ganz alleine entschieden: Das mit dieser Lesung kommt nicht gut.

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