Schüsse nach hinten und Schritte nach vorn

Auf den ersten (und auch auf den zweiten. Und selbst auf den dritten) Blick haben Hanery Amman und Bettina Wulff nichts gemeinsam.

Er zählt zu den Erfindern des Schweizer Mundartrock. Sie war, als Gattin von Bundespräsident Christian Wulff, die „First Lady“ von Deutschland.

Doch auf den vierten Blick, oder auf den fünften, lässt sich eine Gemeinsamkeit entdecken: Beiden (ist) passiert, was man auch Leuten nicht wünschen würde, die man nicht soooo gut mag.

Hanery Amman, der „Rumpelstilz“-Mitbegründer, leidet seit einem Vierteljahrhundert an Tinnitus. Und als ob das Schicksal gedacht hätte, dieses Endlos-Pfeifen im Ohr sei für einen Menschen – und ganz besonders für einen hochsensiblen Musiker – noch nicht genug der Pein, erfuhr der Sänger, Pianist und Komponist („Alperose“, „Rosmarie und i“) und Sänger vor fünf Jahren, dass er an Lungenkrebs erkrankt sei. Inzwischen, sagen Menschen, die Amman nahestehen, gehe es mit dem 60jährigen „Chopin des Oberlandes“ wieder Schrittchen für Schrittchen bergauf. Er gibt Konzerte und Interviews und hat angekündigt, nächstes Jahr eine neue CD herauszubringen.

Bettina Wulff lebte in den letzten Monaten mit dem Wissen, dass sich halb Deutschland über ihr angebliches Vorleben im Rotlichtmilieu das Maul zereisst. Sie habe vor ihrer Heirat mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen in einschlägigen Clubs gearbeitet, hiess es, und sich als Escort-Dame verkauft. In der Gerüchteküche standen sich immer mehr Journalisten, Politiker und Verschwörungstheoretiker Rufmörder auf den Füssen herum. Einen Beleg für die Behauptungen konnte niemand vorlegen, obwohl sich die Bluthunde des Boulevards und die Investigativsturmtruppen von „seriösen“ Medien wie im Rausch durch die Puffs und politischen Hinterzimmer der Nation recherchierten.

Auch wenn eine Krebserkrankung und eine Verleumdungskampagne sich kaum vergleichen lassen (und schon gar nicht von jemandem, der bisher von beidem verschont geblieben ist): In der Art und Weise, wie Hanery Amman und Bettina Wulff mit ihren persönlichen Tragödien umgehen, sind Gemeinsamkeiten zu entdecken. Weder er noch sie denken auch nur im Traum daran, im dunklen Kämmerchen mit sich und den bösen Geistern, die sie heimgesucht haben (und nach wie vor heimsuchen), zu hadern. Stattdessen lassen sie die Öffentlichkeit an ihren Erfahrungen teilhaben; sicher nicht nur, aber auch im Bewusstsein darum, dass oft nur schon Reden hilft, um Ballast loszuwerden.

Im Fall „Bettina Wulff“ ging der Schuss nach hinten los. Ihr Buch „Jenseits des Protokolls“ erntet wegen eines eklatanten Mangels an Einsicht und eines bemerkenswerten Übermasses an weinerlicher Ich-Bezogenheit Spott und Häme statt, wie von Wulff zweifellos geplant, Mitleid und Verständnis zu wecken. Von „Bravo-Prosa“ ist die Schreibe und davon, dass mit diesem Buch „das Psychogramm des modernen Spiessbürgers“ vorliege – „mit allem, was dazugehört.“

Hanery Ammann wählt einen anderen Weg. Einen, auf dem ihm kein Absturz drohen kann, weil er ihn kennt: Den Weg der Musik.

Auf „Houston we are ok“, dem neuen Album der Berner Halunke, singt er im Duett mit Christian Häni die wunderschöne Ballade „Hopfe und Malz“. In diesem Lied geht es vordergründig um jemanden, dem es gerade – oder, genauer gesagt: schon seit einer ganzen Weile – nicht ganz läuft, wie gewünscht.

Wenn Christian Häni in den Song einsteigt, klingt alles recht harmlos; nach etwas, was zwischendurch jedem passiert, weil sich auf der Sonnenseite des Lebens nur die wenigsten einen Platz dauerreservieren können:

„Ds Telefon het hüt nid einisch glütet.
D Mailbox isch läär und niemmer chunnt verbi.
Sogar d Poscht het nüt für di da gla.
Jetz ligsch ufem Kanapee
und luegsch Löcher i d Luft.“

Doch jetzt wirds ungemütlich. Der Hörer spürt: Hier geht es nicht um ein 0815-Früstli, das am nächsten Morgen verschwunden sein wird.

„Chum si mer ehrlech, schlimmer wirds nümm.
Langsam aber sicher isch ds Iisch chli z dünn.
Im Grund gno chönnts vo jetz a
nume no obsi ga.
U du bisch als Nächschte dra.

Du sitzisch im Schatte, di Tag isch i dr Nacht.
Hei scho paar Mal zäme düregmacht.
Ig lose dir gärn zue,
du hesch geng öppis z verzelle.

Du hesch dr Hals voll Dräck,
dini Finger si gschwulle.
Ds Päch het di i de letschte Jahre
immer wieder gfunde.
Ds Läbe het di so richtig packt und knüttlet.“

Und dann…dann erzählt Hanery Amman. Er spricht mehr, als er singt. Er thematisiert seine Krankheit. Sein Ohr. Und zeigt dabei eine Zuversicht, die Aussenstehenden unfassbar erscheint.

Statt das Ohr, das ihm das Leben immer wieder zur Hölle macht, zu verwünschen, benutzt er es für ein Spiel mit Worten.

„Sisch no lang nid Hopfe und Malz verlore.
S Schicksal git mer eis a d Ohre.
Mues lache und sägen ihm, mi überchunsch nid.
I mir Sach bini mi eiget Schmied.“

Darauf erwidert Häni (vielleicht täuschts; aber zwischen den Akkorden klingt sehr viel Respekt vor dem alten Musikerfreund und dessen Umgang mit dem Unglück mit):

„Dini Ohre pfiiffe und roube dir de Schlaf.
Aber de Schalk het di nid verlah.
Du hockisch a Flügel lasch di nid la störe.
Sing mir dini Songs, ig wott si ghöre.“

Ganz am Schluss, als die Melodie fast verklungen ist, sagt Amman, mehr zu sich selber als zu den Zuhörern, vielleicht komme er im nächsten Leben ja als Bier zur Welt. „Aber als ein gutes!“.

Mit nichts würde man dereinst lieber anstossen als mit diesem Gebräu aus Musikalität und Humor.

Auf das hochstielige Glas, dessen Inhalt schon von Weitem bitter nach Selbstmitleid riecht, wird man hingegen gerne verzichten.

(„Hopfe und Malz“ kann hier – noch – nicht verlinkt werden. Die CD „Houston we are ok“ erscheint am 21. September. Möglicherweise ist das Lied später auf youtube verfübar. Dann stelle ich es selbstverständlich zu diesem Text.)

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