Sonne, Mond und Stars

In jeden Leben gibt es Momente, in denen man die Zeit anhalten möchte. Augenblicke, die nicht schöner sein könnten. Sekunden, Minuten oder, wenns hoch kommt, ein paar Stunden, in denen auf wundersame Weise alles zusammenpasst und so ineinandergreift, dass es daran nichts zu verbessern geben kann.

Einen so perfekten Moment erlebten mein Schatz und ich am Moon & Stars-Festival in Locarno. Und das Erstaunlichste Überraschendste Schönste Bemerkenswerteste Überwältigendste an diesem perfekten Moment war: er zog sich über zwei Tage, eine Nacht und einen Abend hin.

Die prächtig aufgelegten 

Earth, Wind & Fire,

Toto

und

Mark Knopfler,

ein dankbares Publikum, die beinahe unwirkliche Kulisse aus Häuserfassaden und Lichtern mitten in der Stadt,

eine originelle Unterkunft direkt an der Piazza Grande,

kopfdurchlüftende Ausflüge bei Postkartenwetter in die Hügel und an den See,…

…ich könnte bis Ende Oktober darüber nachdenken, was mir an unserem Ausflug in den Süden amänd doch nicht so gepasst hat – und würde nichts finden.

Rundum begeistert waren allerdings nicht nur Chantal und ich und, möglicherweise, zwei drei weitere zahlende Gäste, sondern auch die Hauptdarsteller.

Steve Lukather,

der Kopf von Toto, notierte am Tag nach seinem mutmasslich letzten Schweizer Konzert mit seinen Jungs auf seiner Facebook-Seite: „Magic night last night. Must have been 15,000 + insane people in a gorgeous square, people hangin on the balcony’s and out windows singing loud with EVERY song. I was so into it I forgot to play the solo in Hold the Line. We smiled thru it all (…). Great night!“

Auch Earth, Wind & Fire, die im Lauf ihrer nun 40-jährigen Karriere schon allerhand gesehen haben dürften, schienen von dem ungewöhnlichen Schauplatz im Stadtzentrum mehr als nur angetan. Von ihrer Spielfreude liessen sich nach wenigen Minuten auch jene Menschen anstecken, die gar nicht wegen ihnen nach Locarno gefahren waren: der Boden für eine riesengrosse Multikulti-Party war im Nu gelegt.

Und als knapp eine Stunde nach den erd-, wind- und feuergeborenen Gutelaune-Predigern endlich Toto in die Scheinwerferkegel spazierten und mit „Child’s anthem“ loslegten, als ob die Rockmusik anderntags verboten würde: Was soll ich sagen? Es war das wunderschönste, fantastischste, magischste und überirdischste aller wunderschönen, fantastischen, magischen und überirdischen Konzerte, die ich von Toto je erlebt habe. Von A wie „Africa“ über H wie „Home of the brave“ bis Z wie der Zugabe „Hold the line“ brannten die Melodic-Rock-Zauberer aus Los Angeles  unter dem strahlenden Mondlicht ein Nonstop-Feuerwerk ab, gegen das die Raketen am Luzerner Seenachtsfest wie feuchte Frauenfürze wirken.

Los legten David Paich (Keyboards), Steve Lukather (Gitarre und Gesang), Steve Porcaro (Keyboards), Simon Phillips (Drums), Joseph Williams (Gesang) und Nathan East am Bass – wie erwartet und erhofft – damit:

 

Dass David Paichs Keyboard vorübergehend ohne Strom war und Lukather vor lauter Begeisterung den einen oder anderen Einsatz verpasste: egal. Nein – gut so: Live ist, auch wenn manche das Gegenteil behaupten, wenns nicht genauso klingt wie auf der CD. Live ist, wenns chlöpft und tätscht und kracht und rummst und niemand genau weiss, was als Nächstes passiert.  Wenn in den Köpfen der Musiker nur ein Gerüst steht und es der Band überlassen ist, was sie daraus baut.

Toto bereicherten das Stadtbild von Locarno innerthalb von anderthalb Stunden um eine Kathedrale des Rock.  

Gleich daneben errichtete Dire Straits-Architekt Mark Knopfler tags darauf eine gigantische Kirche für all jene, die immer noch und für alle Zeiten an die Hühnerhaut erzeugende Kraft der reinen Harmonielehre glauben. Er ging bei seinem Auftritt mit einer Konzentration und Virtuosität ans Werk, die Ihresgleichen rund um den Erdball zwar sucht, aber bis auf Weiteres nicht finden dürfte. Die verbale Interaktion mit dem Publikum beschränkte er aufs Nötigste und damit so gut wie auf null.. Doch wenn er sich zwischendurch einen Blick in die Menschenmenge gönnte, blitzte in seinen Augen ein staunendes Glänzen auf; wer ganz genau auf die riesigen Leinwände links und rechts von seinem Arbeitsplatz schaute, erkannte zwischendurch gar ein spitzbübisches Lächeln in seinen Mundwinkeln.

„Sailing to Philadelphia“, „Romeo and Juliet“, „Telegraph Road“, „Sultans of Swing“ oder „Speedway at Nazareth“: Knopfler liess nichts aus. Nur: Statt einfach nur seinen Hitkatalog herunterzuspulen – was ihm niemand verübelt hätte – schafften er und seine hochkarätige Begleitband es scheinbar mühelos, all die Diamanten mit diesem Querflöten-Schliffchen oder jenem Violinen-Hauch neu erstrahlen zu lassen.

Mit „Piper to the end“ beendete Mark Knopfler das Wunder „Locarno“ für Chantal und mich und all die anderen um uns herum. Die irische Ballade setzte den denkbar schönsten Schlusspunkt unter zwei undenkbar schöne Tage.

Auf der mitternächtlichen Heimfahrt in den Norden fiel Regen durch die sich langsam abkühlende Luft. Es war, als ob uns die Realität mitteilen wollte: „Hallo, ihr beiden. Da bin ich wieder.“

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