The Swinger takes it all

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Am Ende singt er ihn dann doch noch, den allergrössten Hit seiner unzähligen ganz grossen Hits, und natürlich sind seine 13 000 Gäste im Zürcher Hallenstadion schon bei den ersten Akkorden von „Angel“ hin und weg vor Glück und Ergriffenheit, und selbstverständlich ist spätestens dann auch jenen Männern, die dieses Konzert vor allem ihren Frauen zuliebe besuchen, endgültig klar, welch grossartigen Entertainer sie heute leibhaftig erleben dürfen, aber eigentlich…

…eigentlich hätte Robbie Williams seine inzwischen leicht ergrauten Engel dafür gar nicht fliegen zu lassen brauchen.

Denn allfällige Zweifel daran, dass er auch 20 Jahre nach seinem drogenbedingten Ausstieg bei Take That und zehn Jahre nach seinem Karrierehöhepunkt als Solomusiker (auf dem er in Knebworth an drei Abenden hintereinander je 120 000 Zuschauern aus dem Häuschen brachte) zu den vielseitigsten, originellsten und mitreissendsten Persönlichkeiten der Popgeschichte zählt, hatte er schon zerstreut, als er mit einer Viertelstunde Verspätung durch ein Loch im Boden auf der Bühne erschienen war und dem Publikum mitgeteilt hatte, sein Name sei Robert Peter Williams, „und eure Hintern gehören in den nächsten zwei Stunden mir!“

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Mit einer glänzend disponierten Big Band mit Pauken, Trompeten, Posaunen und allem im Rücken (nur die Streicher kamen aus der Konserve) und einem halben Dutzend atemberaubend agierender Tänzerinnen und Tänzer an der Seite streift der Brite in Frack und Lack auf seiner „Swings both ways“-Tournee mit spielerischer Leichtigkeit und bubenhafter Freude durch eine Zeit, in der es noch keine am Reissbrett zusammengestellten Boygroups gab und keine „Superstar“-Suchen am Fernsehen und kein Youtube im Internet.

„Puttin‘ on the Ritz“ von Jeff Richman, „Minnie the Moocher“ von Cab Calloway, „Do nothin‘ ‚til you hear from me“ von Duke Ellington oder „High Hopes“ und – dramaturisch perfekt erst kurz vor Schluss dargeboten – „My Way“ von Frank Sinatra: Das sind die Ecksteine, auf die Robbie Williams, der als Popstar längst erreicht hat, was ein Popstar erreichen kann, nun als Swinginterpret baut. Dazwischen streut er passend umarrangiertes eigenes Material ein („Come undone“, „Millennium“) und adaptiert er Meisterwerke von Alicia Keys („Empire State of Mind“) oder Ray Charles „Hit the Road, Jack“).

Ihm dabei zuzusehen und -zuhören, ist auch für Leute, die eher dem Blues und dem Rock zugeneigt sind, das pure Vergnügen. Das liegt einerseits daran, dass Williams und seine Begleiter die goldenen Oldies in Dur und Moll zwar mit dem gebotenen Respekt, aber nie mit übertriebener Ernsthaftigkeit präsentieren.

Und andrerseits daran, dass der 40jährige Brite die vielen Freiheiten, die er sich im letzten Vierteljahrhundert erkämpft hat, zu nutzen weiss: Es gibt nicht sehr viele Künstler, die ein Konzert unterbrechen dürfen, um minutenlang mit den Zuschauern in den vordersten Reihen zu schäkern, für Fotos mit Fans zu posieren, CD’s für deren Kinder zu signieren oder eine halbe Ewigkeit lang Werbung für Toblerone zu machen, ohne ein gellendes Pfeifkonzert zu riskieren.

Aber Robbie Williams darf das; Robbie Williams darf alles, weil er nichts mehr muss, ausser, alle paar Jahre wieder zu einer grossen Reise durch die Arenen Europas aufbrechen, um Abend für Abend jedem einzelnen unter zigtausend Kunden das Gefühl zu geben, diese Ton- und Licht- und Farben- und Konfettiorgie nur für sie oder ihn zu veranstalten.

Im Gegenzug erhält der Mann, der in der einen Sekunde umwerfend selbsironisch und in der nächsten unfassbar arrogant wirken kann, regelmässig in hohen Dosen, was er offenkundig am dringendsten braucht: Die Bestätigung dafür, der Grösste zu sein, und des Gefühl, trotz (oder wegen?) all der Brüche in seiner Vergangenheit von jedem Menschen auf diesem Planeten verehrt und begehrt zu werden.

Oder, wie es „Die Presse“ nach Williams‘ Gastspiel in Wien formulierte: „Das bunte Bukett an widersprüchlichen Gefühlen, das er mit seinen penibel inszenierten Eskapaden auslöste, sorgt für jenen Jubel, der Medizin für alle narzisstisch Veranlagte ist.“

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Nachtrag: Auch die noble NZZ war vom Swingfest begeistert. Der Tagesanzeiger hingegen empfand die Show als „unangemessen und aufgebauscht“.

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