Unter Schilderbürgern

„Pothäslech“ und „Schwachsinn“ oder „geil“ und „cool“? In Burgdorf stehen die Zeichen auf Pink.

Kaum wurden die Burgdorferinnen und Burgdorfer nach zwei Monaten Hausarrest in die Freiheit entlassen, bekamen sie Überraschendes zu sehen: An zwölf Plätzen ragen seit einer Woche schweinchenfarbene Wegweiser aus dem Boden. Sieben dieser Stelen wurden in das Pflaster der „geradezu modellhaft historischen“ und denkmalgeschützten Altstadt versenkt.

Für alle jene, die mit dem Begriff „Wegweiser“ nichts anfangen können: Das sind „klar erkennbare Orientierungshilfen“, mit denen Ortsunkundige „problemlos zu ihrem Ziel geleitet“ werden können, wie einer doppelseitigen Reportage im „Stadtmagazin“ zu entnehmen ist.

Bei der Lektüre des Artikels kommt der Laie unweigerlich zum Schluss, dass es sich bei der sogenannten „Signaletik“ um ein Fachgebiet handelt, das in Sachen Komplexität auf einer Stufe mit der Gehirnchirugie oder der Astrophysik angesiedelt werden muss.

Immerhin sollten sich die neuen Tafeln „modular“ an neuen und bestehenden Rohrpfosten anbringen lassen, farblich überzeugen, durch „Flexibilität“ bestechen, Urbanität ausstrahlen, das Städtische mit dem Ländlichen verbinden und darüberhinaus erst noch „eine gute Kosteneffizienz“ aufweisen, heisst es in dem Artikel.

Was genau unter „gut“ zu verstehen ist und wieviel Steuergeld die Übung verschlingt, ist dem Text allerdings nicht zu entnehmen.

Aus unerfindlichen Gründen fehlt in dem Beitrag auch ein Hinweis auf den Oberkommandierenden der Operation: Die Federführung hatte der seit Ende 2018 frühpensionierte Ex-Leiter der Baudirektion inne. Er durfte dieses Projekt auf Kosten der Stadt aus dem Ruhestand heraus realisieren.

Nur die Kosten sind irgendwie kein Thema: Das Stadtmagazin informiert über die neuen Wegweiser.

Angesichts all dieser Ansprüche und Vorgaben war es selbstredend undenkbar, jemanden aus der plusminus 200 Mitarbeitenden zählenden Gemeindeverwaltung zu bitten, sich bei einem Kafi mit Burgdorfer Malern, Metallbauern und Grafikern etwas Zweckdienliches einfallen zu lassen.

Stattdessen schalteten die Verantwortlichen – was tut man für die Kosteneffizienz nicht alles? – ein auf Design und Grafik spezialisiertes Büro aus Biel ein.

Schon knapp ein Jahr später präsentierten die auswärtigen Fachleute eine Lösung, die gemäss dem städtischen Verlautbarungsorgan „ins Auge sticht“ und sich „vom übrigen Schilderwald gut abhebt“.

Via Facebook reagierte die Bevölkerung darauf mit gedrosselter Euphorie:

Zustimmende Voten gabs natürlich auch…

…aber wer die Sache nicht durch die rosa Brille betrachtet, kommt alles in allem zum Schluss: Selten lag Seldwyla näher bei Burgdorf als heute, und das will in einer Stadt, für die schon die Installation eines Bankomaten ein Ereignis von nationaler Bedeutung darstellte und deren Führungspersonal eine Medienmitteilung verschickt, wenn es beschliesst, mit dem Bezahlen der Rechnungen vorübergehend nicht bis am letztmöglichen Tag zuzuwarten (inzwischen lässt es sich damit wieder mehr Zeit), doch etwas heissen.

Es werde anderes Licht: So wird – vielleicht – schon bald das Casino Theater beleuchtet.

Und – es bleibt spannend: Im Auftrag der Baudirektion beschäftigt sich eine Firma aus dem Seeland seit einem geraumen Weilchen mit einer neuen Beleuchtung für die Oberstadt und das Kornhausquartier.

Auf ihrer Website schreibt sie:

„Die Altstadt, bei der sowohl die Gastronomie, wie auch das Gewerbe und Wohnraum im Vordergrund stehen soll für alle Nutzer einladend und umweltschonend ausgeleuchtet werden. Der Gang durch die Altstadt soll ein Highlight werden, jedoch soll sich das Produkt an sich nicht in den Vordergrund stellen. 

Abgerundet wird dieses Projekt mit einer neuen Weihnachtsbeleuchtung, welche ebenfalls zu einem neuen Highlight der Stadt Burgdorf werden soll.“

Die Umsetzung ihrer Pläne obliegt einer Beratungsfirma aus Villarsel-le-Gibloux („Wir begleiten Gemeinden, Städte, EW’s, Installateure, Vereine, Unternehmen und Private bei der Konzeption, Planung, Umsetzung und Optimierung ihrer Beleuchtungs- und Smart City Projekte“), einem Lichtplanungsunternehmen aus Ostermundigen („Da der Lichtmast ein idealer Träger für Smart-City Komponenten ist, sind wir auch in diesem Themengebiet up to date“) sowie einem Inneneinrichtungsgeschäft aus Lüterkofen („Ihre Spezialisten für Innenarchitektur, Böden, Polsterei, Textilien und Ergonomie“).

Das Engagement von Letzterem dürfte in Burgdorf mit besonderem Interesse zur Kenntnis genommen worden sein:

Sieben Monate, nachdem es den Auftrag erhalten hatte, wollte das Seeländer Büro seiner Kundin vorführen, zu welchen Erkenntnissen es gelangt ist.

Eines Tages standen deshalb an verschiedenen Plätzen in der Altstadt Strassenlampen in unterschiedlichen Formen und Grössen. Nach dem Eindunkeln bummelten Entscheider aus der Baudirektion und Mitläufer aus dem Altstadtleist-Vorstand durch die Quartiere, um den Ausführungen des externen Experten zu lauschen und zu sehen, was wo warum wie wirken würde.

Zu dem Treffen nicht eingeladen war – soviel zum Thema „Sowohl die Gastronomie, wie auch das Gewerbe“ – die Detaillistenvereinigung Pro Burgdorf.

Top Secret: Musterung von neuen Altstadtbeleuchtungs-Möglichkeiten auf dem Kronenplatz.

Von diesen Umtrieben bekamen nur jene wenigen Menschen etwas mit, die an dem Abend zufällig aus den Fenstern ihrer Wohnungen guckten, denn die Besichtigung fand am 18. März statt. Auf Geheiss des Bundesrates hatte sich die Schweiz und damit auch tout Burgdorf kurz zuvor vor dem Corona-Virus in Deckung gebracht.

Anmerkungen oder Fragen von Einheimischen brauchten also weder die Delegation der Stadt noch der von ihr beigezogene Spezialist zu gewärtigen, doch das Beispiel „Wegweiser“ hat ja gezeigt:

Das kommt ganz bestimmt auch so gut.

10 Kommentare

  1. Ist das Kunst oder kann das weg?

    Diese Redewendung finde ich hier nicht fehl am Platz (im Gegensatz zu den Wegweisern).

    Wobei hier auch passen würde: «Das ist Kunst und kennt den Weg». Kunst hat ja bekanntlich den Auftrag zu provozieren. Das tun die Wegweiser jedenfalls sehr gekonnt.

  2. Warte jedesmal ganz „giggerig“, bis ich in den Social Media Seiten das Schreibgenie „Hundepapi“ Hannes verschlingen kann. Geistiger Orgasmus in Perfektion..!

    Merci für die geilen Zeilen und bitte weiter so; ich möchte auch in meinem Alter noch einige Orgasmen fühlen…!

  3. Nicht alles Provokative ist automatisch Kunst. Und weshalb müssen Wegweiser überhaupt provozieren?

  4. Ich möchte einmal wissen wieviel Steuergelder die Stadt Jahr um Jahr für diese auswärtigen „Beratungsbüros“ aus dem Fenster wirft.

  5. Da will sich ja kaum jemand dazu äussern, so fest sind alle miteinander verhängt. Dabei versteht der Autor dieses Beitrages sein Handwerk wie ich es selten sonst gelesen habe… Grandios

  6. Noch kitschiger gehts nicht, als ob Burgdorf keine traditionellen Farben hätte.

    Es ist eigentlich zum Fremdschämen. Starke Künstler haben hier schon gezeigt, was man hätte machen können, aber dann vergibt man den Auftrag nicht einmal vor Ort.

    Irgendwas läuft schief…!

  7. Treffend – und wenns nicht furchtbar traurig wäre, auch höchst amüsant!

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