Verbal-Durchfall am Feier-Abend

Zuerst sind pdf-Dateien das grosse Thema. Dann gehts um Excel-Tabellen und kurz darauf um irgendwelche Programme. Als es dazu wirklich nichts mehr zu sagen gibt, dreht sich der Monolog um Stellvertretungen, Nachfolgeregelungen, Versetzungen nach Übersee, den Lohn, Spesen, buchhalterische Probleme, doofe Zicken, arrogante Chefs, strohdumme Mitarbeitende und – immer wieder – darum, dass die Verantwortlichen nicht erkennen wollen oder können, was sie an ihr haben; an ihr, der Frau, die das Schicksal an diesem Silvesterabend an unserem Tisch plaziert hat, und die diesen festlichen Anlass (und die mitgebrachte Kollegin) seit ihrem Eintreffen vor drei Stunden dazu missbraucht, über ihren Job zu reden.

Bevor wir an dieser mit viel Herzblut organisierten Party mit den vielen anderen Gästen auf das neue Jahr anstossen können, fahren wir eher übel als wohl zurück nach Burgdorf. Eine andere Möglichkeit, dieser Fleisch gewordenen Selbstüberschätzung mit Verbaldurchfall zu entrinnen, sehen wir nicht. Im Zehnminutentakt nach draussen flüchten, um zu rauchen? Nicht bei dieser Kälte. Und schon gar nicht an einer Feier, an der ansonsten alles bis aufs letzte Detail stimmt: Die originelle Dekoration, die fägige Musik, das tolle Essen, die herzlichen Gastgeber – es könnte so schön sein.

Natürlich: Wir hätten die Frau zwischen dem Hauptgang und dem Dessert fragen können, ob es in ihrem Leben eigentlich noch etwas anderes gebe als Dateien und Tabellen und ob sie wirklich ganz sicher sei, dass ihr Geschäftsgeklöne irgendjemanden interessiere. Wie man sich so fühle, mit nichts als dem Job im Kopf. Wieso sie nicht einfach die Stelle wechsle, wenn sie doch so schampar gut sei, während der Rest der Belegschaft nicht einmal einen Kaffee aus dem Automaten laufen lassen könne, ohne die Firma in den wirtschaftlichen Abgrund zu stürzen.

Aber: Wir hatten diese Ausgeburt der Ego-Hölle nie zuvor gesehen. Wir konnten nicht ahnen, wie sie auf Kritik reagieren würde; ich gehe davon aus, dass „kritikfähig“ nicht das Adjektiv ist, das ihre Kolleginnen und Kollegen immer wieder verwenden, wenn sie über die Frau reden. Wahrscheinlich wäre nach so einer Bemerkung ein Glas geflogen und dann ein Teller und dann irgendjemand aus dem Saal.

Das wollten mein Schatz und ich vermeiden. Das Risiko, die Hochstimmung der anderen Gäste mit einer wie auch immer gearteten Intervention zu trüben, erschien uns zu hoch. Aber: Vom Tisch des Grauens wegzügeln ging nicht, weil die restlichen Plätze reserviert und besetzt waren. Der Frau ein Kuchenmesser ins Dekolleté zu rammen, war eine Option, die ich kurz erwog, dann aber mit Blick auf allfällige juristische Folgen wieder verwarf.

Chantal und ich rutschten dann vor unserer Haustüre ins neue Jahr; im Nieselregen, mit einem tollen Feuerwerk vor Augen.

(Frage in die Runde: Hat jemand schon Ähnliches erlebt? Was tut man in so einem Fall?)

4 Kommentare

  1. Ja. Ja. Jajajajaja und nochmals ja.

    Nur: Aber um etwas auch nur halbwegs Gescheites sagen zu können, müsste man zuerst einmal zwei, drei Sekunden lang zu Wort kommen (du kennst das vermutlich aus dem Grossen Rat).

    Ich habe indeed erwägt, die Banane auszupacken und den Längewäg auf den Tisch zu knallen , dann aber davon abgesehen, weil

    a) der Tisch nichts dafür kann,

    b) der Veranstalter amänd chli muff geworden wäre,

    c) das Essen dann höchstens noch im Alterheim hätte dargereicht werden können und weil

    d) überhaupt.

    Die Geschichten über meine politischen und apolitischen und echten und virtuellen Freunde mochte ich nicht erzählen, weil noch während meiner Ausführungen schwupp eine dieser verdammen Tabellen gezückt worden wäre, auf denen frau dann süüferli eingetragen hätte, wer wieso seit wann zu welcher Kategorie zählt.

    VIP-Verwandte?

    Die Mordsgeschichte habe ich neulich bei Verena Zürcher vom Landverlag abgeliefert. Ich bin ja nicht blöd und erzähle sie vor allen Leuten und riskiere damit, dass dann kein Mensch mehr das Buch kauft, das übrigens am 1. Juni in der Heimstätte Bärau seine Premiere feiert.

    Grundsätzlich, wie gesagt, hast du schon Recht. Andrerseits: Wie mir der Veranstalter zwischenzeitlich glaubhaft versichert hat, ist er nicht nur ein gewiefter Tookmaschter, sondern auch ein versierter Krisenmänätscher. Nächstes Mal gehe ich nach spätestens zweieinhalb Stunden bei ihm rätschen und geniesse den Rest des Abends dann genauso, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

  2. Man reagiert als Theatermann mit einem Gegenangriff und erzählt so lange von grossen Bananen, politischen und apolitischen Freunden, VIP-Verwandten und vor allem Inspirationen für neue Mordgeschichten aus dem Emmental, bis die Tischnachbarn entweder den Veranstalter nach einem möglichst weit entfernten Tisch fragen oder es aber vorziehen, die Feier vorzeitig zu verlassen und zuhause auf die neuen Excelltabellen anzustossen.

  3. OMG.

    Dann war das wohl ein Vierertisch?

    Was ich in so einem Fall tue: Ignorieren (allerdings erst nach einer sehr grosszügig bemessenen Toleranzphase). Ich hätte mich an deiner Stelle vielleicht auf ein intimes Zwiegespräch mit Chantal konzentriert und die rücksichtslose Bedürftige keines Blickes mehr gewürdigt.

    Ist aber auch nicht, was man sich unter einem Fest vorstellt…

    Ihr habt sicher das einzig Richtige gemacht.

    Cheers, Görgu *:o)

    Und: Willkommen im neuen Jahr!

  4. Man wendet sich z.B. an den Veranstalter. Ist’s ein Mann oder eine Frau der Improviation, dann findet der/die bestimmt eine elegante Lösung. Den Leuten an der erwähnten Party hätte ich das zugetraut…

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