Vom Radar verschwunden

Wenn uns jemand gefragt hätte, was wir seien, hätten wir gesagt: „So etwas wie Freunde“.

Ohne viel gemeinsam zu haben, hockten wir ständig zusammen. Immer um 11 und spätestens um 17 Uhr wieder trafen wir uns im Reinacher „Löwen“ oder im Pfeffiker „Bären“. Stundenlang liessen wir uns über die da oben aus, die denen hier unten das Leben immer schwerer machen.

Das Thema aller Themen war die Aargauer Kantonspolizei mit ihren Promillekontrollen. Wer das Billet abgeben musste, war der Held.

Was uns verband, war die Möglichkeit, uns nach Belieben aus dem Geschäft ausklinken zu können und – aber das hätte keiner je zugegeben – eine innere Leere, die sich am besten mit Bier füllen liess; Tag für Tag. Abend für Abend. Woche für Woche. Jahr für Jahr.

Aber gegen aussen hatten wir alles im Griff. Wir hätten jederzeit aufhören können, miteinander die Welt in Ordnung zu diskutieren und nebenbei halt noch das eine oder andere Glas zu trinken. 

Nur wollten wir nicht.

Im Sommer 1996 sass ich zum letzten Mal in der Runde. Als ich nach Freiburg wegzügelte, versprachen alle, mich in der Westschweiz besuchen zu kommen. Daraus wurde, was schon beim Abschied jedermann wusste, nichts.

Einen einzigen meinen Stammtischbrüder habe ich nach x Jahren wiedergesehen, als ich im „Bären“ auf das Zügli nach Aarau wartete. Das erste, was er wissen wollte, war, ob ich wieder autofahren dürfe. Ich zahlte und ging. Ein anderer rief eines Nachts an, um mich lallend etwas über Johnny Cash zu fragen.  

Einige meiner früheren Kollegen sind inzwischen verstorben. Über Tote nichts Schlechtes; natürlich. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die hinterbliebenen Gattinnen endlos weinten. Die meisten Tränen dürften sie vergossen haben, als ihre Männer noch lebten.

Was die anderen machen, weiss ich nicht. Sie sind, wie von einem schwarzen Loch verschluckt, von meinem Radar verschwunden. In der Zeit, die seit unserem letzten Bier vergangen ist, hat sich mein Umfeld fast von alleine rundumneuert. Es ist kleiner geworden und setzt sich nicht mehr aus Menschen zusammen, für die der Schein mehr zählt als das Sein. 

Vor allem aber besteht es jetzt aus Leuten, die nicht „so etwas wie“ Freunde darstellen. Sondern aus Menschen, die Freunde sind.

Und deshalb bleiben.

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