Vorne, bei den Vollidioten

Für ihre Plätze im „Golden Circle“ des Zürcher Hallenstadions hatten die Leute je 140 Franken bezahlt. Weitere 150 Euro blätterten manche von ihnen für die „VIP-Experience“ hin. So heisst das Privileg, vor dem Toto-Konzert beim Soundcheck dabeisein zu dürfen. Anschliessend signieren die Bandmitglieder T-Shirts, Chäppis, Poster und Platten und halten am Ende für ein Erinnerungsbild mit ihren solventen Fans hin:

(diese Aufnahme klaute ich von der Facebook-Seite des Toto- und Steve Lukather-Fanclubs. Sie entstand in Italien, hätte aber auf jeder beliebigen anderen Station der „40 Trips around the sun„-Tournee geschossen werden können).

Minuten, bevor es auf der Bühne losgeht, sitzen sie mit ihren Handys im Anschlag auf ihren Stühlen. Kaum fällt der Vorhang, schiessen sie auf, recken die Arme in die Höhe und filmen, was das Zeug hält. „Alone“, „Hold the line“, „Lovers in the night“, „Spanish Sea“: Einen Song nach dem anderen halten sie mit ihren Kameras für die Ewigkeit fest.

Mit den 300 Stutz, die sie für diesen Abend hingeblättert haben (die Kosten für ein paar Cüpli, das Parkhaus und allerlei Merchandising-Artikel sind darin noch nicht eingerechnet), sicherten sie sich offensichtlich auch das Recht, sich in der Halle ohne Rücksicht auf die gängigsten Anstandsregeln aufzuführen.

Die Angehörigen des hinter ihnen platzierten Pöbels sehen ausser abstehenden Ohren, fast haarfreien Hinterköpfen und verschwitzten Unterarmhöhlen nichts mehr. Sich ebenfalls erheben mögen sie aus Rücksicht auf die Zu“schauerinnen“ und -„schauer“ in den Reihen 4, 5, 6 ff. nicht, und überhaupt: Um das Konzert stehend geniessen zu können, hätten sie nicht zwingend Sitzplätze zu buchen brauchen.

Irgendwann haben die Hobbyfilmer ein Einsehen oder Krämpfe in den Waden. Man hat jetzt freien Blick auf die Band und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass das bis zum Schluss so bleibt, aber chasch dänke: Kaum erklingen die ersten Akkorde des nächsten Hits, baut sich die Wand aus Jacken und Hemden und Mobiltelefonen wie von alleine erneut vor einem auf.

Ich bin sicher (und hoffe inständig): Wenn die Leute nach Hause kommen und von ihren Lieben gefragt werden, wie es so war, das Konzert, sagen sie: „Keine Ahnung. Ich muss zuerst auf dem Handy nachschauen.“

Dann öffnen sie ihre Film-App, klicken sabbernd vor Vorfreude auf „Play“ – und bekommen ausser einem undefinierbaren Krach nichts zu hören und abgesehen von heillos überbelichteten Musikern auch nichts zu sehen.

2 Kommentare

  1. Genau deshalb besucht man Konzerte und Vorstellungen lieber in der kulturfabrikbigla, denn dort hat das Publikum erstens Anstand und zweitens Sachverstand und weiss, drittens, das Geschehen auf der Bühne live zu schätzen (auch wenns halt nicht grad Toto ist).

  2. Ich dachte mir das noch, als ich die dort vorne stehen sah. Andererseits muss man auch sagen, dass ein Toto-Konzert, das bis zum Bühnenrand hin bestuhlt ist einfach rein gar nichts mehr mit Rock’n’Roll zu tun hat. Selbst wenn die Leute aufs Klo mussten, wurden sie von Sicherheitsleuten durch die Gänge dirigiert wie Flugzeuge von Lotsen.

    An keinem Ort der Halle durfte man sich aufhalten, nur auf den Sitzen. Und dann hockst du da 2 1/4 Stunden auf deinem wirklich tollsichtigen Foyer-Balkon, gehst eben nicht aufs Klo und holst dir auch nichts zu trinken, weil du nicht willst, dass neben dir 10 Leute aufstehen müssen und du durch die 3 cm Abstand zwischen Knie und Zoogitter halt einfach nicht durchkommst.

    Die Halle war halbleer gestern, aber ich glaube nicht wegen Toto. Dass da noch Stimmung aufkommen konnte, ist der Band hoch anzurechnen.

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