Warum auch in die Ferne schweifen?

Klein, aber mein: Ungefähr so hätte ich auf Jamaica vermutlich gehaust.

Es gab eine Zeit, in der ich halb achtelwegs ernsthaft erwog, nach Jamaica auszuwandern. Dort, stellte ich mir vor, könnte ich unter der rund um die Uhr scheinenden karibischen Sonne tagein und -aus vor verlotterten Openairbars höcklen und den Klängen zotteliger Reggaemusiker lauschen.

Hin und wieder kämen Bob Marley oder Peter Tosh vorbei, um zu berichten, wie es mit ihren neuen Platten vürschigeht, und wenn mir der Sinn nach etwas Bewusstseinserweiterung stünde, müsste ich nur Joe, dem Grashändler meines Vertrauens, winken, und schon würde er mit einen Hämpfeli seines getrockneten Krauts über die staubige Strasse schlurfen.

Hätte ich meinen nicht sonderlich ausgegorenen Plan in die Tat umgesetzt, sässe ich in dem Paradies, für das ich Jamaica damals gehalten hatte, sehr viel tiefer im Seich als heute in dem Land, dem ich wegen all seiner Vorschriften und Regeln und seiner spiessigen Kurtfurglerhaftigkeit einst den Rücken zu kehren trachtete.

Am 10. März wurde auf der Insel der erste Coronafall bestätigt, eine Woche später gab es das erste Todesopfer zu beklagen. Bis heute verstarben acht weitere Personen an Covid-19. Am 1. April verhängte die Regierung eine generelle Ausgangssperre. Sie gilt nach wie vor, wenn auch „nur“ noch zwischen 20 und 5 Uhr. Die Grenzen bleiben bis frühestens Ende Mai geschlossen, die Schulen sicher bis im September. Der Staat ist bis über alle 6 Millionen Ohren verschuldet.

Von den Milliarden, die die Schweiz seit Mitte März in die Wirtschaft gepumpt hat, könnte Jamaica vermutlich bis zum Weltuntergang leben, und zwar unabhängig davon, ob er schon Ende November stattfindet oder erst in 461 Jahren.

„Every little thing’s gonna be alright“: Damit dürfte es auch auf Jamaica noch dauern.

Das führt uns fast zwangsläufig zur Frage: Gibt es überhaupt noch Länder, die von Corona verschont blieben?

Yo Mann, die gibts offenbar. Allseits bekannt ist, dass das offizielle Nordkorea behauptet, sich bester Gesundheit zu erfreuen, aber das war ja schon immer so. Gemäss der Süddeutschen Zeitung wurden auch in Turkmenistan und Tadschikistan bisher keine Infektionen nachgewiesen (dafür stiegen in Tadschikistan die Preise für Knoblauch und Zitronen ins Unbezahlbare, weil sie angeblich gegen Covid-19 schützen).

Die Cookinseln im Südpazifik seien ebenfalls virenfrei, berichtet das Blatt, und man fragt sich bei der Lektüre: Worüber reden die Menschen dort eigentlich, wenn sie sich auf dem Markt begegnen oder am Strand miteinander den Feierabend begiessen? Das Wetter ist ja immer öppe dasselbe, und irgendwann dürften auch Unterhaltungen über die unzähligen Offshore-Bankkonti auf dem Archipel etwas an Spannung verlieren (aber als nicht steueroptimierter Kunde der Berner Kantonalbank kann ich mich zumindest in dieser einen Hinsicht natürlich irren).

Wenn wir schon bei „irr“ sind: Turkmenistan, Tadschikistan oder Nordkorea wären valable Auswanderungsziele für jene Leute, die in Bern auch heute gegen die Anti-Pandemiemassnahmen des Bundesrats demonstrieren: Wo kein Corona, da nie Diktatur.

Mit von der Protestlerpartie ist bestimmt auch wieder Ruth Dürrenmatt,

die Tochter des klugen Friedrich. Sie wird mit ihrer Teilnahme an dieser Grusel-Veranstaltung einmal mehr beweisen, dass der Apfel unter gewissen Umständen halt doch weit vom Stamm fallen kann.

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