Wir basteln uns einen Politiker

Bei den meisten Plakaten verstehe ich auf Anhieb, was mir die Werber sagen wollen: Iss Greyerzer, fahr mit Mobility, schlürf Actimel.

Doch vor den Postern, mit denen die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) das Land in diesem Sommer tapeziert hat, könnte ich stundenlang stehen, ohne ihren Sinn zu kapieren.

„Bestimmen Sie das Gesicht der Schweiz“, steht auf den Affichen. Darunter sind Köpfe zu sehen, die aus Hälsen und Mündern und Nasen und Augen und Stirnen von verschiedenen Politexponenten zusammengesetzt sind. Wer sich ein paar solcher Plakate besorgt, kann sich an einem verregneten Sonntag mit dem Japanmesser und ein paar Metern Scotchband seinen eigenen Nationalrat oder seine persönliche Ständerätin basteln.

Für Leute, die in Kleinwohnungen leben, gibts praktische Klappbüechli mit denselben Motiven.

Wenn das nicht der Oberknaller ist: Was dann?

Ich kann mir gut vorstellen, wie sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe Task Force „APG-Kampa.11“ ekstatisch brüllend in die Arme gefallen sind, als die Visagenpuzzles nach Jahren des Brainstormens endlich vor ihnen auf dem riesigen Rauchglastisch im Konferenzraum 4a lagen.

Nur, eben: Wieso ich mich davon angesprochen fühlen soll, erschliesst sich mir weder auf den ersten noch auf den zweiten und auch nicht auf den dritten Blick.

Mit der für die Werbebranche typischen Selbstlosigkeit schreibt die APG auf ihrer Homepage, dass sie mit dieser „sympathischen Kampagne“ beabsichtige, „die Schweizer zum Wählen“ zu motivieren. Schliesslich hätten sich bei der letzten Parlamentarierkür „lediglich 48,3 Prozent“ der Stimmberechtigten an die Urnen bemüht; für die nächste Ausmarchung sehe es laut Experten ähnlich schitter aus.

Nach dem selbstkreierten Motto „Nur, wer gesehen wird, darf auf die Gunst der Wählenden hoffen“, hat die APG ihre Plakate auf 50 000 Flächen gepappt. Auf die Idee, dass sehr viele Leute längst müde abwinkend auf ihre *räusper* urdemokratischen Grundrechte verzichten, weil sie all die Politikergrinden an Wänden, in Bahnhöfen und auf grünen Wiesen nicht mehr sehen mögen, sind die Werber augenscheinlich nicht gekommen. Andernfalls hätten sie weisses Papier aufgehängt und darunter geschrieben: „Geht wählen.“

Mir persönlich sagen die Plakate nur eines: Dass sich zig hochrangige Politikerinnen und Politikern auch mit entstellten Gesichtern in der Öffentlichkeit zeigen, wenn sie davon ausgehen können, dass die Aktion der eigenen Sache dient.

Abgesehen davon weiss ich dank der APG-Kampagne jetzt verbindlich, was ich schon seit einem geraumen Weilchen vermutet habe: Inhalte spielen in der grossen Politik keine Rolle. Nur das Aussehen zählt.

2 Kommentare

  1. Yep! Genau deshalb bin ich gewählt worden. Wobei manchmal frage ich mich bei anderen, ob die wohl Bilder aus dem Katalog gebraucht haben.

    Zu laut darfst du das aber dann nicht sagen. Wenn ich jeweils behaupte, wir würden nr gewählt, weil man unsere Gringe kennt, wird mir selbiger fast abgerissen. Es gibt viele, die sind der festen Überzeugung, sie würden wegen ihrer Fähigkeiten gewählt.

  2. Genau. Denn nu weis ich nicht mer, wen ich wählen soll- Das schüttere Haar, die Krähenfüsse, die grosse Nase mit passendem Schnautzer oder das Muttermal am Hals.

    DASS man wählen geht, darüber sind sich der Blogbetreiber und ich uneinig.
    Aber Harmonie herrscht, wenn wir zwei die Plakate anschauen und nach Defragmentierung schreien.

    Oder sind es die wahren Gesichter unserer Politiker?
    Oder will man uns als unmündig abstempeln, ich erinner mich an Spiele und Bücher in meiner Kindheit, da war das noch lustig….

    Auf alle Fälle: „APG- Zéro Points“

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.