Irgendwie kann ich mir bildlich vorstellen, wie das lief gestern, als mein Göttibueb Marius und sein Brütsch Oliver darüber werweissten, wie sie zu neuen CDs und einer DVD kommen könnten, ohne ihre Sackgeldbestände plündern zu müssen.
Die beiden waren sich wohl schnell einig, dass man sich mit einem solchen Anliegen am besten an Mutters älteren Bruder wendet: schliesslich hat der in seinem Compi mehr Musik gespeichert als alle anderen Leute auf der ganzen Welt zusammen.
Die Frage war nur: Wer fragt ihn?
Am Ende dürfte der Zehnjährige den Achtjährigen davon überzeugt haben, dass derlei Missionen naturgemäss in den Aufgabenbereich von kleinen Brüdern fallen. Also griff Oliver zum Handy seiner Mutter. um die Bestellung durchzugeben.
Aber ganz so einfach mochte ich es den jungen Herren nicht machen:
Jetzt, wo alles geklärt ist, prene ich das Gewünschte natürlich mit Freuden fom Compi.
Und wer weiss: Vielleicht denke ich, während die CDs heruntergeladen werden, noch kurz über die Finanzierung nach.
Gedankenverloren und mit der Musik von Suzanne Vega in den Ohren, stand ich am Kochherd. als mich auf einmal das Gefühl beschlich, nicht alleine in der Wohnung zu sein.
Und siehe da: Schräg über mir, auf dem Wok-Stiel, sass ein junger Vogel. Mit schiefgelegtem Köpfchen beobachtete er, was unter ihm vor sich ging.
Wie lange er schon da höckelte, wusste ich nicht. Ich öffnete zwei Fenster sperrangelweit und täppelte vorsichtig wie ein Indianer auf dem Kriegspfad zurück in die Küche. Mein kleiner Gast hob ab zu einem Erkundungsflug. Erst setzte er sich auf den Balken beim Eingang. Dann schwirrte er um den Compi, stieg hoch, warf einen Blick ins Schlafzimmer, liess sich wieder sinken, drehte eine Runde ums Sofa und liess sich schliesslich – etwas ausser Puste geraten, wie mir schien – auf dem Tisch nieder.
In dem Moment, als ich ihm schonend beibringen wollte, dass ich in einer halben Stunde tatsächlich eingeladenen Besuch erwarte und ihn deshalb bitte, sich langsam zu verziehen, stiess er einen Pfiff aus, fräste noch einmal um die Lampe – und schwirrte ins Freie.
Bevor mir jemand vorwirft, ich sei chli befangen: Ich bin chli befangen.
Eine Band, deren Schlagzeuger aus Beinwil am See stammt und die nicht nur am Hallwilersee probt, sondern auch regelmässig dort auftritt, wo meine dicksten Wurzeln wuchern, hat bei mir einen Bonus, den andere Exponenten Schweizer Musikschaffens leider, leider nicht haben.
Nur: Diese Extrapunkte benötigen die Stranded Heroes gar nicht. Was sie brauchen könnten, wäre ein Pressetext, der nicht schon im ersten Satz die längst zu Tode bemühten „satten Riffs und packenden Beats“ als „authentisch und unverkennbar“ anpreist. Bei Medienleuten, die noch einen Rest Ehrgefühl haben, landen derlei Verlautbarungen im Papierkorb. Die beigelegte CD verschenkt die Musikredaktion beim vorweihnächtlichen Büroausmisten samt zig anderen ungehörten und -besprochenen Mustern hoffnungsfroher Newcomer an die Kollegen. Diese entsorgen den Silberling irgendwann, ohne ihn je in das Abspielgerät geschoben zu haben.
Und das hätten weder die gestrandeten Helden verdient noch all die nach neuer Nahrung lechzenden Freunde intelligenter Rockmusik, die in Zeiten der galoppierenden Rapitis und Jamesbluntisierung zunehmend das Gefühl beschleicht, verhungern zu müssen.
„Metamorphin“, das Erstlingswerk des 2008 gegründeten und bereits ziemlich bühnenerfahrenen Quartetts, hört sich streckenweise an, als ob man Nightwish die Keyboards weggenommen und gesagt hätte: „So. Jetzt zeigt doch mal, wie ihr so klingt ohne all die synthetischen Mäscheli und Bändeli, die ihr immer um eure Songs wickelt, damit sie möglichst bombastisch wirken.“
Und wumm!
Die Stranded Heroes sind quasi „Nightwish netto“. Nur origineller, frecher und mit mehr Mut zum Risiko. Während Nightwish elektronisch verzuckertes Schwerverdauliches auftischen, kreieren die Heroes erfrischend fettarme Menüs. Wobei – Bonus hin oder her – der Vergleich ein wenig hinkt: Die Finnen mit ihren Ausnahmesängerinnen verkaufen seit bald zwei Jahrzehnten Millionen von Platten und sind auf einer Briefmarke verewigt. Die Aargauer mit ihrer Ausnahmesängerin veröffentlichen im Herbst 2011 ihre erste CD. Welche Vorkehrungen die Schweizerische Post im Hinblick auf dieses Ereignis trifft: Niemand weiss es.
Tatsache ist: Mit ihrem Debütalbum rammen die Stranded Heroes auf dem Feld des alternativ getunten Melodic-Rock einen dicken Pflock in den Boden. 40 Sekunden hat Anja Bolliger auf „Bed of Ivory“, dem ersten Song, Zeit, um ihre hierzulande wohl einzigartige Stimme – sie klingt wie in Guinness getränkt – durch den Raum schweben zu lassen und der Welt zu zeigen: „Hier sind wir. Und wir meinen es ernst“. Dann zersägt ein fieser, scharfer Gitarrenakkord von Stefan Voramwald den fast mythisch anmutenden Monolog der Frau. Sekunden später macht sich die Rhythmusabteilung mit Basser Mash Lüscher und Drummer Kusi Hintermann an die Arbeit und – wumm!
Was in der folgenden halben Stunde aus den Lautsprechern in die Gehörgänge fräst, rummst und fägt und harmoniert von A bis Z. Handwerklich gibts nicht das Geringste auszusetzen; textlich beschränkt sich der flotte Vierer erfreulicherweise nicht darauf, die immer gleiche Geschichte vom einsamen Mann und der verzweifelten Frau zu erzählen, die sich zu vorgerückter Stunde in einer Bar treffen und Monate später wieder ihrer eigenen Wege gehen. „An Stränden aus Gold und Grau stranden die Helden, packen ihr Werkzeug aus und erzählen von Neuland, Aufbruch und dem Zurückgelassenen“, fasst der Pressetexter zusammen, und beweist damit, dass er auch anders kann, wenn er nur will.
Beim dritten Durchhören steht fest: Die Stranded Heroes könnten auch aus Chur oder Zollikofen stammen – ich fände sie trotzdem sackstark.
Stranded Heroes live:
– 2. Juli: Rock and Ride, Jegenstorf BE,
– 13. August: Heitere Open Air, Zofingen
– 26. August: Dorffest zum 150. Geburtstag der Musikgesellschaft Beinwil am See
Offenbar geht es in dieser holländischen Talkshow um Sex-Probleme von Behinderten.
Nur schon das Thema ist nicht zum Lachen.
Und es ist auch nicht witzig, wie die Gäste reden; wirklich nicht. Niemand kann etwas für die Art und Weise, wie er oder sie spricht.
Eigentlich gibts in so einem Fall nur eines: Peinlich berührt um- oder empört abschalten, und zwar sofort.
Wenn Prominente vor Gericht stehen, interessiert mich das in der Regel nur am Rande. Mir ist es lieber, wenn ein Herr Meier angeklagt wird, weil er seine Frau vergewaltigt haben soll. Ersteres ist meist ein für die Öffentlichkeit inszeniertes Spektakel, Letzteres oft eine Geschichte aus dem ganz normalen Leben.
Der Faszination des Falls „Jörg Kachelmann“ konnte ich mich dennoch nicht entziehen. Für mich war immer klar, dass dieses Verfahren mit einem Freispruch enden würde (das Urteil und die mündlichen Begründungen dafür können hier nachgelesen werden). Wenn von Anfang an so viele Fragen zwangsläufig unbeantwortbar sind, ist es für ein aus Menschen zusammengesetztes Gremium nicht möglich, zu sagen, wer Recht hat. Und eine Justiz, die im Zweifel für einen Angeklagten entscheidet, ist mir persönlich lieber als eine, die sich aufführt, als sei sie allwissend.
Wenn dabei bisweilen Urteile gesprochen werden, mit denen niemand so richtig zufrieden sein kann: tant pis. Es ist nicht die Aufgabe eines Gerichts, die Leute glücklich zu machen. Es ist auch nicht die Aufgabe eines Gerichts, zu beurteilen, ob der Beschuldigte ein flotter Typ ist oder ein Sauhund. Es hat herauszufinden, ob der Angeklagte gegen das Gesetz verstossen hat oder nicht. Und ihn, falls er schuldig ist, angemessen dafür zu bestrafen.
Ein Gericht hat sich – „öffentliches Interesse“ hin oder her – auch nicht um die Erwartungen, Hoffnungen und Vorbehalte der Medien zu scheren. Wäre Kachelmann vor einem aus Journalisten und – vor allem! – Journalistinnen bestehenden Gericht gesessen: Er hätte zwischen Seligsprechung und Kreuzigung alles erwarten dürfen und müssen.
Keine Ruhmesblätter
Wie sich manche „Kolleginnen“ und „Kollegen“ während dieses Prozesses am Landgericht Mannheim aufgeführt haben, gereicht meinem Berufsstand nicht eben zur Zierde. Journalistinnen, die eng mit der Verteidigung zusammenarbeiteten, „Prozessbeobachterinnen“, die ununterbrochen gegen den Angeklagten geiferten, obwohl sie am Prozess gar nicht anwesend waren oder Zeitschriften, die Zeuginnen mit viel Geld zum Reden brachten:
Nach dem Motto „Wehe, wenn sie losgelassen“ wurde einer staunenden Leser- und Zuschauerschar am Beispiel „Kachelmann“ monatelang vorgeführt, welche Kräfte die „vierte Gewalt“ entwickeln kann, wenn sie ihre moralischen und ethischen Fesseln erst einmal abgelegt hat.