Des Bräutigrambruders neue Kleider

Möglicherweise habe ich es schon einmal erwähnt: Am 13. Mai heiratet Judith meinen Brüetsch, bzw. mein Brüetsch seine Judith. Ich bin deshalb auf einer für mich ganz und gar ungewohnten Mission in fremdem Gelände: Ich brauche bis in genau 30 Tagen einen Anzug. Einen richtigen, schicken. Einen, der, wenn er ein Kebab wäre, als „mit scharf und allem“ bestellt würde. Einen, den man einmal trägt und dann nie wieder, weil man in ihm überall sonst etwas overdressed wirkt.

Also schaute ich mich in einer schlaflosen Nacht chli auf der Website eines Schweizer Herrenausstatters um. Was ich da sah, wirkte recht anmächelig, um nicht zu sagen: halbwegs passabel. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, dass man dieses Geschäft einfach so betreten und fünf Minuten später umständelos erledigter Dinge wieder verlassen kann.

Schon beim Betrachten der Homepage roch ich einen Schwarm ekelhaft gegelter und penetrant parfümierter Verkäufer, die ununterbrochen um mich herumwieseln und mir beflissen dieses Hemd zeigen und jene Weste vorführen und mir freudig im Schritt und am Hosenbund herumfummeln, obwohl ich, schon Stunden zuvor, auf den ersten Blick gewusst hatte, was ich wollte; und obwohl das passte wie angegossen, aber nein: Der Herr Kunde wird ausgerechnet heute ganz besonders zuvorkommend behandelt, drum: noch mehr Hemden und Hosen und Jacken und Krawatten und weiteres vor Unterwürfigkeit fast auf den teuren Teppich sabberndes Personal, das mit nie nachlassender Begeisterung an einem zerrt und zupft und noch mehr Gänge in die Hölle Garderobe, in der man sich schon lange nicht mehr umzieht, sondern in der man nur ungefähr die Zeitspanne abwartet, die man zum Umziehen benötigen würde, und aus der man dann herausruft, die Sachen seien zu gross oder zu klein oder zu lange oder zu kurz oder zu hell oder zu dunkel, worauf man das wie zehntausend alte Socken müffelnde Kabäuschen wieder verlässt in der Hoffnung, von den Hyänen, die draussen mit neuen Stapeln von Wäsche auf ihr längst waidwund beratenes Opfer lauern, die sie ihm un-be-dingt noch zeigen wollen, entweder schnell und schmerzlos getötet oder aber endlich, ENDLICH!, in Ruhe gelassen zu werden, damit man mit dem Zeug, das man ganz am Anfang ausgesucht hatte, zur Kasse und dann aus der Glastüre gehen kann – und fertig.

Vielleicht ahnt man, wo das Problem liegt.

Jedenfalls liess ich den Kleiderladen geistig in Flammen aufgehen, wartete, bis auch die letzte Fliege und der letzte Lehrling verkohlt war, und rief dann eine zweihundert Kilometer entfernt stationierte Feuerwehr an.

Um das Projekt trotzdem vorwärts zu bringen, besprach ich die Hochzeitskleidersfrage heute Nachmittag mit zwei Kollegen auf dem Dach des BZ-Gebäudes. Der eine sagte, er würde für diesen Anlass „etwas ganz Normales“ anziehen und riet zu Jeans und einem Hemd. Ich sagte, das sei unmöglich; immerhin gehe es um die Hochzeit von meinem Bruder, worauf der Kollege erwiderte: „Eben.“

Der andere Kollege riet mir dringend, einen Laden namens „We“ an der Berner Marktgasse aufzusuchen. Die hätten da alles, was der Gast des hohen Festes begehre, und dann erst noch zu sehr, sehr humanen Preisen. Mit 400 Franken sei mann dabei; alles inklusive, ausser den Schuhen.

Ich stand so gut wie in dem Lokal, als der Kollege fortfuhr: Das Beste an dem Geschäft seien nicht einmal die Preise. „Sagenhaft“ sei vor allem: „die Beratung“. Die „We“-Leute – und das war der Moment, in dem ich beinahe aus dem fünften Stock in die Lorraine hinuntergesprungen wäre – würden sich im Gegensatz zu Verkäufern in anderen Modehäusern „noch so richtig Zeit nehmen für einen“.

Nach all den Jahren

‎“Huere Haxe!“ sagt die alte Frau, und legt ihre Füsse auf den Zugsitz gegenüber.

„Sind ämu no schöni“, lächelt ihr Mann vis-à-vis, und streicht ihr übers linke Schienbein.

„Ha di eifach gärn“, sagt sie leise.

Dann schweigen die beiden.

Blau, aber schlau

Schauplatz: Die Burgdorfer Schmiedengasse an einem vorsommerlichen Früh-Samstagabend.

Darsteller: Der vielleicht 50jährige A, der den halben Nachmittag in einer einschlägig bekannten Beiz verbracht hat, und der etwas jüngere B, der ein paar Meter weiter mit Kollegen vor einer anderen Wirtschaft sitzt.

Ausgangslage: A schuldet B Geld. B wartet schon seit einem Weilchen auf die Rückzahlung.

A (will unauffällig am Tisch von B vorbeischlendern).

B (schiesst von seinem Stuhl hoch und schreit): Hey! Her mit dem Geld!

A (tut, als ob er nichts gehört hätte).

B (stellt sich A in den Weg. Schreit immer noch): Ich will mein Geld! Dreimal haben wir abgemacht. Alle drei Termine hast du verpasst. Jetzt längts!

A (schweigt. Guckt zu Boden und scheint sich zu fragen, ob der sich eigentlich schon immer so gedreht habe).

B (schreit weiter): Dreimal haben wir abgemacht! Dreimal!! Zeig mir dein Portemonnaie!

A (zeigt B das Portemonnaie. Kehrt es um. Nuschelt): Nichts.

B (schaut sehr böse): 50 Stutz. Ich will meine 50 Stutz!

A (vermeidet weiter jeden Blickkontakt): Ich kanns dir…nicht jetzt….aber…

B (laut): In zehn Minuten bist du wieder da. Mit meinem Geld. Ein Fünfziger. Zehn Minuten! Verstanden?!?

A (achselzuckend): Ich…

B (brüllt. Die Frage ist nicht, ob gleich seine Halsschlagader platzt. Die Frage ist, wer die Sauerei dann zusammenputzt): Aber Geld zum Spielen und Saufen hast du!

A (schwankend): Habe nicht gesoffen.

B (etwas leiser, wobei „leiser“ bedeutet, dass die Leute in Freiburg nichts mehr mitbekommen): Ich habe dich gerade aus der Beiz kommen sehen. Dafür hast du Geld. Ich habe dir 150 Stutz gegeben. Die will ich zurück. Jetzt, sofort. Wir hatten drei Termine. Jedesmal hast dus verpennt.

A (sehr, sehr leise): Einen Hunderter habe ich dir schon…

B (schaltet die Hörerinnen und Hörer in Freiburg wieder zu): Und jetzt will ich die anderen 50!!!

A (kaum hörbar): Nicht gesoffen.

B (hämisch): Lauf mal ein paar Meter geradeaus. Mal sehen, ob du das schaffst.

(Kumpels von B, die das Geschehen von ihren Logenplätzen aus mitverfolgen: Höhöhö.)

A: Beginnt langsam zu gehen. Gibt sich alle Mühe, der Hauswand entlang einigermassen auf Kurs zu bleiben. Geht weiter. Und weiter. Und weiter. Biegt auf auf einmal in ein Seitengässchen ab. Ward nicht mehr gesehen.

B (kratzt sich am Kopf. Weiss nicht so recht. Starrt auf das jetzt menschenleere Strässchen vor ihm. Wendet sich schliesslich lachend an sein Publikum): Habt ihr das gesehen? Das glaub ich ja nicht. Haut einfach ab. (Bestellt noch ein Bier. Ende der Vorstellung).

Von Sitzung zu Sitzung

Wie schon angedeutet, bin ich im Moment nur beschränkt einsatzfähig. Mein Körper ist inzwischen dermassen geschwächt, dass ich vorhin nur 80 statt der üblichen 100 Frühmorgen-Sit-ups schaffte. Kann fast nicht mehr lesen, was ich schreibe. Denke oft an Ludwig van Beethoven. Dass sich so gut wie niemand nach meinem Befinden erkundigt oder mir, zum Beispiel in den Kommentaren, von Herzen gute und baldige Besserung wünscht (an dieser Stelle: Herzliche Grüsse an die Familie, meine Freunde auf Facebook und ali, womi käned!), ist schon in Ordnung. Ich könnte das Handy sowieso keine 30 Sekunden lang halten.

Unter Mobilisierung der letzten Kräfte und während im Hintergrund die Spülung heimelig rauschte, klickte ich mich jetzt chli durch das Youtube-Angebot. Die Filme sah ich wie durch Milchglas. Aber ich glaube, der hier ist saugut: